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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
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Wenn Sie in einer Büchersache kommen, Sir», sagte sie seufzend und ein wenig schwer atmend,«tue ich wohl nur meine Pflicht, wenn ich Sie hereinlasse.»
    Sie ließ ihn eintreten, ging ihm voraus durch mehrere dämmrige Zimmer und führte ihn schließlich in einen Raum, dessen der Tür gegenüberliegende Seite von einem breiten, niedrigen Fenster eingenommen wurde. Durch die kleinen alten Scheiben fiel ein schwaches grünes Licht – das Licht der schon tief im Westen stehenden Sonne, die durch die nassen Bäume des berühmten Gartens schien. Alles andere wirkte düster und antiquiert; die Wände waren Reihe um Reihe mit Büchern bedeckt. In der Nähe des
Fensters saßen, im friedvollen Zwielicht, zwei Personen, von denen eine sich erhob, als Benvolio eintrat. Es war das junge Mädchen aus dem Garten – das junge Mädchen, das vor einer Stunde beim Buchhändler gewesen war. Bei der anderen Person handelte es sich um einen alten Mann, der zwar den Kopf zur Tür wandte, ansonsten aber reglos sitzen blieb.
    Diese Bewegung und sein stilles Verharren verrieten Benvolios rascher Auffassungsgabe sogleich, dass der Mann blind war. Als Dichter war Benvolio einfallsreich; ein Gehirn, dem fortwährend Reime abverlangt werden, ist einigermaßen rege. Und so hatte er binnen weniger Augenblicke das Glücksrad kräftig angestoßen. Mehrere Dinge waren geschehen. Er hatte eine freundliche, höfliche Rede gehalten, er wusste gar nicht so recht, worüber eigentlich; und der alte Mann hatte erklärt, er habe eine angenehme Stimme – eine Stimme, die eher einem gebildeten Menschen als einem Laufburschen zu gehören schien. Benvolio gestand, dass er eine gewisse Bildung genossen habe, woraufhin der alte Mann das junge Mädchen aufgefordert hatte, ihm einen Platz anzubieten. Benvolio setzte sich so, dass er sie auf ihrem Stuhl vor dem tief herabreichenden Fenster sehen konnte.

    Der Buchhändler unter den Arkaden hielt es für wahrscheinlich, dass Benvolio an diesem Abend noch einmal vorbeikommen werde, um ihm Bericht über seinen Botengang zu erstatten, und bevor er seinen Laden schloss, blickte er die Straße hinauf und hinunter, um zu sehen, ob der junge Mann auf dem Weg zu ihm sei. Benvolio kam zwar noch, aber da war der Laden schon längst geschlossen. Doch das bemerkte er gar nicht; dreimal umrundete er den Platz, ohne dass er es bemerkt hätte. Er war mit seinen Gedanken woanders. Er hatte den ganzen Abend mit dem blinden alten Gelehrten und dessen Tochter zusammengesessen, und er dachte fest und voller Inbrunst an sie. Wenn ich«sie»sage, meine ich natürlich die Tochter.
    Einige Tage später erhielt er ein Billett von der Gräfin, in dem sie ihm mitteilte, es wäre ihr ein Vergnügen, ihn bei sich zu empfangen. Er schrieb ihr umgehend, zu seinem unendlichen Bedauern hielten ihn dringende Geschäfte in London fest und er müsse darum bitten, seine Abreise um ein, zwei Tage verschieben zu dürfen. Sein Bedauern war völlig aufrichtig, aber schließlich gab es triftige Gründe für seine Bitte. Benvolio war inzwischen von seinen stillen Nachbarn äußerst angetan, und für den Moment
genügte die Art und Weise, wie das junge Mädchen ihn ansah – indem sie zunächst den Blick mit einem vagen, beinahe geistesabwesenden Lächeln auf einen imaginären Punkt über seinem Kopf richtete und ihn dann langsam senkte, bis ihre Blicke sich trafen –, um ihn glücklich zu machen. Er hatte ihren Vater ein weiteres Mal aufgesucht und dann noch einmal und noch einmal, und er sah lebhaft voraus, dass er ihn noch oft aufsuchen würde. Er war in dem Garten gewesen und hatte dessen leichte Moderigkeit, aus der Nähe betrachtet, noch reizvoller gefunden. Benvolio hatte seine ihn äußerst schlecht kleidende Maske abgelegt und seine Nachbarn wissen lassen, dass sein Metier nicht das Austragen von Paketen, sondern das Verfassen von Versen war. Der alte Mann hatte von seinen Versen noch nie etwas gehört; er las nichts, was nach dem sechsten Jahrhundert veröffentlicht worden war, und mittlerweile konnte er auch nur noch mit den Augen seiner Tochter lesen. Benvolio hatte das kleine weiße Bändchen auf dem Tisch liegen sehen und sich vergewissert, dass es tatsächlich das seine war; und er nahm zur Kenntnis, dass das junge Mädchen dem Vater gegenüber nie eine Bemerkung über seinen Inhalt hatte fallenlassen, obwohl es recht abgegriffen
aussah. Ich sagte vorhin, während der ersten halben Stunde von Benvolios erstem Besuch seien mehrere Dinge

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