James, Henry
fragte, ob er ihr einen Besuch abstatten dürfe.
Kurz nachdem er seinen Brief abgeschickt hatte, besserte sich das Wetter, und Benvolio brach zu einem Spaziergang auf. Die Sonne ging schon beinahe unter; die Straßen leuchteten rot und golden in ihrem Licht, und die vereinzelten Regenwolken, in tausend kleine Teilchen zerrissen, sprenkelten den Himmel wie ein Schauer
von Opalen und Amethysten. Benvolio unterbrach seinen Spaziergang, um eine Weile mit seinem Freund, dem Buchhändler, zu plaudern. Der Buchhändler war ein Ausländer und ein Mann von feinem Geschmack; sein Laden befand sich unter den Arkaden des großen Platzes. Als Benvolio eintrat, bediente er gerade eine Dame, und die Dame war schwarz gekleidet. Es schien Benvolio zu jenem Zeitpunkt nur natürlich, dass ihm eine schwarz gekleidete Frau auffiel, dabei machte der Umstand, dass die Dame das Gesicht abgewandt hatte, es zwar leichter, sie zu beobachten, aber auch fruchtlos. Doch schließlich hatte sie ihre Besorgung erledigt; sie hatte mehrere Bücher bestellt, der Buchhändler die Titel aufgeschrieben. Nun drehte sie sich um, und Benvolio sah ihr Gesicht. Er starrte sie ausgesprochen taktlos an, denn er war sich sogleich sicher, dass sie die Bücher liebende junge Dame aus dem Garten war. Ihr Blick wanderte durch den Laden, über die Bücher an den Wänden, die Drucke und Büsten, die ganze Gelehrsamkeit, die hier, in unterschiedlicher Form, angehäuft war, dann verließ sie auf jene lautlose, unauffällige Art, die Benvolio so gut kannte, den Laden. Benvolio packte den überraschten Buchhändler an beiden Händen und bestürmte ihn
mit Fragen. Der Buchhändler vermochte jedoch nur wenige davon zu beantworten. Das junge Mädchen war zuvor erst ein Mal in seinem Laden gewesen und hatte lediglich eine Adresse ohne irgendeinen Namen hinterlassen. Es war die Adresse, die Benvolio schon kannte. Bei den Büchern, die sie bestellt hatte, handelte es sich durchweg um gelehrte Werke – Abhandlungen über Philosophie, Geschichte, die Naturwissenschaften, alles Disziplinen, in denen sie bewandert zu sein schien. Einige der Bände, die sie soeben geordert hatte, musste der Buchhändler aus dem Ausland beschaffen; die anderen sollten noch an jenem Abend an die Adresse geliefert werden, die das junge Mädchen hinterlassen hatte. Benvolio stand dabei, als der alte Bücherfreund die gewünschten Bücher zusammensuchte. Plötzlich stieß dieser einen kurzen Ausruf des Entsetzens aus: Einer der Bände einer mehrbändigen Ausgabe fehlte. Es handelte sich um ein seltenes Werk, und es würde schwierig werden, den Verlust zu ersetzen. Benvolio hatte sogleich eine Idee; er bat seinen Freund um die Erlaubnis, als Bote fungieren zu dürfen: Er selbst würde die Bücher austragen, als käme er vom Laden, und er würde das Fehlen des verlorengegangenen Bandes und wie dieser nach Meinung des Buchhändlers
wiederzubeschaffen sei, viel besser erklären als einer der angeheuerten Laufburschen. Er bat um die Erlaubnis, sagte ich, doch er wartete nicht, bis sie erteilt wurde; er ergriff hastig den Stapel Bücher und eilte frohlockend davon!
IV
Da auf dem Paket kein Name stand, fragte sich Benvolio, als er das alte graue Haus erreichte, über dessen Hofmauer eine abenteuerlustige Ranke ihren langen Arm in die Straße reckte, wie er es anstellen sollte, zu der Person vorgelassen zu werden, für die die Bücher bestimmt waren. Er war fest entschlossen, unter gar keinen Umständen das Feld zu räumen, ehe er einen flüchtigen Blick in das Innere des Hauses und auf seine Bewohner erhascht hatte – Sie dürfen nicht vergessen, dies war derselbe Mann, der die mondbeschienene Mauer zum Garten der Gräfin erklommen hatte. Eine betagte Dienstmagd mit einer altmodischen Haube öffnete auf sein Klopfen hin die Tür und blinzelte aus einem kleinen runzeligen weißen Gesicht in das schwindende Tageslicht, als sei sie noch nie zuvor genötigt gewesen, so direkt hineinzuschauen.
Benvolio erklärte, er komme vom Buchhändler und habe den Auftrag, dem ehrenwerten Herrn, der das Paket bestellt habe, persönlich eine Nachricht zu überbringen. Dürfte er wohl ergebenst darum ersuchen, ihn zu sprechen? Diese unterwürfige Wendung war eine Eingebung des Augenblicks – er hatte sie auf gut Glück formuliert. Doch aus einem unbestimmten Gefühl heraus war Benvolio überzeugt, dass sie hier ihren Zweck erfüllen würde; das Einzige, was ihn überraschte, war das bereitwillige Einlenken der alten Frau.
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