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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
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Kauf eines Gemäldes gesteckt – eines kostbaren Werkes der Venezianischen Schule, das unverhofft auf den Markt geworfen worden war. Es wurde für eine bescheidene Summe angeboten, und Benvolio, der es als einer der Ersten gesehen hatte, erwarb es und hängte es triumphierend in sein Zimmer. Es besaß das bekannte klassische venezianische Leuchten, und er pflegte stundenlang auf dem Diwan zu liegen und es anzustarren. Es zeichnete sich in der Tat durch eine sonderbare Eigenschaft aus, auf die ich nirgendwo sonst gestoßen bin. Die meisten Bilder,
die ihrer Farben wegen bemerkenswert sind, müssen (vor allem, wenn sie schon vor ein paar Jahrhunderten gemalt wurden) in eine ganze Flut von Sonnenlicht getaucht sein, damit diese richtig herauskommen. Doch dieses bemerkenswerte Werk schien über eine eigene verborgene Leuchtkraft zu verfügen, die am besten zur Geltung kam, wenn der Raum etwas abgedunkelt war. Wollte Benvolio sich ganz besonders an seinem Schatz erfreuen, schloss er die Jalousien, und das Gemälde erstrahlte mit betörender Wirkung im kühlen Dämmerlicht. Es stellte, auf phantastische Weise, die Geschichte von Perseus und Andromeda 7 dar – zeigte die schöne nackte Jungfrau an einen Felsen gekettet, auf dem, in malerischer Unstimmigkeit, ein wilder Feigenbaum wuchs; zu ihren Füßen wogte die grüne Adria, und ganz in ihrer Nähe schwebte auf einem geflügelten Pferd ein schöner junger Mann mit gebräunten Gliedmaßen und einem sonderbaren Helm auf dem Haupt. Benvolio zog die Reise, die seine Phantasie unternahm, während er dalag und sein Gemälde betrachtete, jeder Reise vor, die er mit öffentlichen Verkehrsmitteln hätte unternehmen können.
    Er trat lediglich, wie er es schon früher häufig getan hatte, zur Ablenkung an die Fenster, die
auf den alten Garten hinter seinem Haus hinausgingen. Und natürlich wuchs der Zauber des Gartens, je weiter der Sommer voranschritt. Er verwilderte immer mehr, wurde buschiger und bemooster und verströmte süßere und schwerere Düfte. Er war ein Hort der Einsamkeit; Benvolio hatte noch nie einen Besucher dort gesehen. Deshalb war er äußerst angenehm überrascht, als er, zu jener Zeit, eines Tages ein junges Mädchen unter einem der Bäume sitzen sah. Sie saß lange dort, und trotz der recht großen Entfernung vermochte er, durch langes Hinsehen, zu erkennen, dass sie hübsch war. Sie war schwarz gekleidet, und als sie ihren Platz verließ, war ihr Schritt von einer Art nonnenhafter Demut und Sanftheit. Obwohl sie allein war, lag in ihren Bewegungen etwas Schüchternes und Zaghaftes. Sie spazierte langsam davon und entschwand schließlich aus Benvolios Blickfeld, nur hier und da sah er noch ihren weißen Sonnenschirm durch die Lücken im Laub schimmern. Nach einer Weile kehrte sie auf ihren Platz unter dem großen Baum zurück und blieb dort sitzen, während sie auf dem Schoß einige Blumen arrangierte, die sie gepflückt hatte. Dann erhob sie sich erneut und entfernte sich, und diesmal wartete Benvolio vergebens auf ihre Rückkehr. Sie war offensichtlich
ins Haus gegangen. Am nächsten Tag sah er sie wieder, und auch am nächsten und am übernächsten. Bei diesen Gelegenheiten saß sie lange Zeit am selben Platz wie zuvor, hatte nun aber ein Buch in der Hand, in dem sie anscheinend mit großer Aufmerksamkeit las. Dann und wann hob sie den Kopf und sah zum Haus hinüber, als gälte es, etwas im Blick zu behalten, was ihre Aufmerksamkeit ebenfalls beanspruchte; und ein-, zweimal legte sie ihr Buch beiseite und trippelte leichteren Schrittes als am ersten Tag davon, um ihren verborgenen Pflichten nachzukommen. Benvolio malte sich aus, sie habe einen kranken Vater oder eine kranke Mutter oder sonst irgendeinen Verwandten, der nicht laufen konnte und den man an ein Fenster geschoben hatte, das auf den Garten hinausging. Wenn sie zurückkam, nahm sie jedes Mal ihr Buch wieder auf und beugte ihren hübschen Kopf mit bezaubernder Ernsthaftigkeit darüber. Benvolio hatte bereits entdeckt, dass ihr Kopf hübsch war. Er meinte eine gewisse Ähnlichkeit mit einem bestimmten wunderschönen Köpfchen auf einer griechischen Silbermünze zu erkennen, die, mit mehreren anderen, in einer Achatschale auf seinem Tisch lag. Sie sehen, er hatte bereits angefangen, sich für sie zu interessieren, und ich
führe dies als Entschuldigung dafür an, dass er seine sittsame Nachbarin stundenlang anstarrte. Doch war er während dieser Stunden keineswegs müßig, weil er sich – ich

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