Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall
erwiderte die Kommissarin.
Sie fuhr sich kurz mit der Zungenspitze über die Lippen, dann berichtete sie von der Durchsuchung des östlich der Gemeinde Hohenecken gelegenen Wochenendhauses. Der sogenannte ›Scharf-Richter‹ hatte dieses kleine Häuschen zeitweise bewohnt und dem Anschein nach zu urteilen auch seine Opfer dorthin gebracht.
»In einem Schuppen haben wir alle möglichen historischen Waffen entdeckt, zum Teil mit auffälligen Blutanhaftungen.« Sabrina schluckte hart, bevor sie ergänzte: »Dort steht auch eine alte Badewanne, ebenfalls blutverschmiert.«
Tannenberg erlöste seine Mitarbeiterin von den Erinnerungen an dieses makabre Ambiente, indem er ein anderes Thema anschnitt. Von diesem Schwenk erhoffte er sich, die Mauer des Schweigens einzureißen, hinter der Winfried Klemens sich verschanzt hatte.
»Wie seid ihr eigentlich in dieses Haus hineingelangt?«, fragte er scheinbar nebensächlich. »Eingebrochen seid ihr hoffentlich nicht, oder etwa doch?«
Sabrina wusste, worauf er hinauswollte. »Nein, nein, seine Schwester hat uns die Schlüssel gegeben.«
»Ach so, verstehe.« Demonstrativ tätschelte er sich die Stirn. »Klar, sie ist ja auch seine Komplizin. Sie war garantiert in alles eingeweiht und hat vielleicht sogar selbst gemordet.«
Der ehemalige Richter riss seinen Blick von dem bemoosten Sandsteinfindling los und brach nun endlich sein Schweigen: »Meine Schwester hat damit nichts zu tun. Sie weiß von nichts«, zischte er.
Ich hab’s gewusst, jubilierte Tannenberg in Gedanken. Das ist seine wunde Stelle. »Aber lieber Herr Klemens«, sagte er betont gelassen, »das können Sie uns doch nicht weißmachen. Schließlich hat Sie Ihnen ein falsches Alibi verschafft.«
»Das war nicht abgesprochen. Sie wollte mir wahrscheinlich einfach nur helfen.«
»Also, ob ich Ihnen das glauben soll …«
»Meine Schwester hat mit all diesen Dingen nicht das Geringste zu tun«, beteuerte Klemens abermals. Dann schwebte sein Blick zurück zur Jammerhalde.
»Sie leiden an einer unheilbaren Krankheit und haben nur noch ein bis zwei Monate zu leben. Ist das richtig?«, fragte Tannenberg schonungslos.
Winfried Klemens hatte offenbar bereits mit seinem Leben abgeschlossen. Denn wider Erwarten reagierte er auf den dramatischen Inhalt dieser Aussage nicht etwa geschockt, sondern lediglich überrascht. »Woher wissen Sie das?«
Der Kriminalbeamte legte den Arm um Dr. Schönthalers Schulter. »Wie ein Mann mit Ihrer Lebenserfahrung sicherlich weiß, kann man sich seine Freunde manchmal nicht aussuchen. Und dieser seltsame Mensch hier neben mir ist nun mal ein leidenschaftlicher Hobbydetektiv. Meistens nervt er ganz schön damit. Aber manchmal hat er auch richtig gute Ideen.«
»So wie heute Morgen«, stimmte der Rechtsmediziner in diese Lobeshymne mit ein. »Da habe ich nämlich unseren Klinikcomputer angezapft und ein bisschen in den Patientenakten herumgestöbert. Und wie es der Zufall wollte, habe ich bei Ihnen, Herr Klemens, etwas sehr Aufschlussreiches in Erfahrung gebracht. Einer meiner Kollege hat bei einer Routineuntersuchung einen unheilbaren Tumor entdeckt. Sie haben diese schreckliche Nachricht vor etwa zwei Monaten erhalten und damals jegliche therapeutische Intervention abgelehnt. Entspricht auch diese Feststellung den Tatsachen?«
Der ehemalige Richter nickt. »Ja, das ist richtig«, antwortete er mit leiser Stimme. Erst jetzt entfernte er seinen Blick von dem verwitterten Gedenkstein und betrachtete Tannenberg mit einem leeren, müden Blick. »Natürlich war ich damals sehr geschockt und hab mich eine ganze Weile in unser Wochenendhaus zurückgezogen. Ich hab mich dort regelrecht vergraben.«
»Stimmt, du warst mal geraume Zeit wie vom Erdboden verschluckt«, sagte Dr. Weißmann, dem man trotz der dramatischen Ereignisse die Erleichterung darüber anmerkte, dass er nun von jeglichem Tatverdacht befreit war.
Tannenberg warf ihm einen scharfen Blick zu. Dadurch wollte er ihm und den anderen signalisieren, dass sie Klemens nicht noch einmal unterbrechen sollten.
»Wissen Sie, Herr Hauptkommissar, für viele Menschen ist solch eine Diagnose extrem niederschmetternd …« Mit einem Mal zeigte sich ein seltsamer Glanz in den Augen des pensionierten Richters.
»Aber für mich war es eine einmalige Chance. Das habe ich recht schnell begriffen. Es war die Chance, etwas zu tun, das ich mich ohne diese Diagnose niemals getraut hätte. Plötzlich war die Chance da, einmal im Leben etwas
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