Jan Fabel 01 - Blutadler
das von der türkischen Mafia regelmäßig angewandt wurde: Wer sie bei einem Drogendeal übervorteilt oder der Polizei Informationen geliefert hatte, wurde irgendwann in den Wäldern nördlich von Hamburg ohne Hände, mit ausgeschlagenen Zähnen und mit abgeschnittenem Gesicht aufgefunden. Dadurch wurde die Identifizierung des Opfers erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht, und die Ermittlungen verzögerten sich oft so sehr, dass die Spur erkaltete und keine Verurteilung mehr zuließ.
»Schon klar«, beruhigte ihn Fabel. »Aber Sie müssen einsehen, dass Sie der Einzige sind, der nach unseren Erkenntnissen mit Sicherheit in Moniques Wohnung war.«
»Ja, für lächerliche dreißig Sekunden. Sobald ich sie sah - in diesem Zustand -, bin ich rausgelaufen, um die Polizei anzurufen.«
»Sie haben nicht Moniques Telefon benutzt?«
»Nein. Mein Handy. Dort wollte ich nicht bleiben. Ich musste raus aus der Wohnung.«
»Sie sind gegen halb drei eingetroffen?«, fragte Fabel.
»Ja.«
»Und Sie haben nichts angefasst?«
»Nein, dazu war ich zu schnell wieder draußen.«
»Wie sind Sie reingekommen? Haben Sie einen Schlüssel?«
»Nein. Das heißt, doch, aber ich habe ihn nicht benutzt. Die Tür war nicht verschlossen, sondern nur angelehnt.«
»Ihr Anruf wurde um zwei Uhr fünfunddreißig bei der Einsatzzentrale registriert. Wo waren Sie, bevor Sie die Wohnung aufsuchten?«
»In der Tanzbar Paradies, bei der Arbeit.«
»Bis wann genau?«
»Etwa ein Uhr fünfundvierzig.«
»Es dauert keine Dreiviertelstunde, um ihre Wohnung von der Großen Freiheit aus zu erreichen.«
»Musste noch was Geschäftliches erledigen.«
»Was denn?«
Klugmann streckte die Arme mit den Handflächen nach oben aus und neigte den Kopf zur Seite. Fabel nahm einen Kugelschreiber und ließ ihn über seine Zähne rattern.
»Wenn Sie uns keine Auskunft geben können oder wollen, müssen wir vermuten, dass Sie Gelegenheit hatten, die Frau umzubringen, sich zu säubern und dann zu behaupten, Sie seien gerade eingetroffen und hätten die Leiche gefunden.«
»Okay, okay. Ich hab mich am Hafen mit 'nem Bekannten getroffen und etwas Stoff gekauft.«
»Mit wem haben Sie sich getroffen?«
»Das soll wohl ein Witz sein.«
Fabel schob ihm ein Tatortfoto über den Tisch zu. Die Szene war in grellen Farben aufgenommen worden und sah geradezu unwirklich aus. »Das ist kein Witz.«
Klugmann wurde starr und erbleichte. Offensichtlich kehrte seine Erinnerung zurück. »Wir waren befreundet. Das ist alles.« Werner seufzte. Klugmann beachtete ihn nicht, sondern blickte dem Hauptkommissar in die Augen. »Und Sie wissen, dass ich sie nicht getötet habe, Herr Fabel.« Seine Augen und seine Haltung verloren an Intensität. »Also, ich hab vom Club zum Hafen ein Taxi genommen. Der Fahrer hat auf mich gewartet, während ich meinen Bekannten traf, und mich dann zur Wohnung gebracht. Gegen halb drei hat er mich dort abgesetzt. Er kennt jeden meiner Schritte vom Verlassen des Clubs bis zur Ankunft vor der Wohnung. Erkundigen Sie sich bei der Taxifirma.«
»Wir sind schon dabei.«
Fabel schloss die Akte und stand auf. Allem Anschein nach war Klugmann nicht der Mörder. Sie hatten keinen triftigen Grund, ihn festzuhalten, nicht einmal als unentbehrlichen Zeugen. Doch das Gespräch hatte Fabel aus der Fassung gebracht. Klugmann entsprach allen Erwartungen, aber der Hauptkommissar hatte das Gefühl, eine umgekehrt daliegende Landkarte zu betrachten. Alle Marksteine waren vorhanden, doch sie lieferten keine Anhaltspunkte, sondern desorientierten ihn nur. Mit beiden Akten unter dem Arm ging Fabel auf die Tür zu und sagte, ohne Klugmann noch eines Blickes zu würdigen: »Wir werden Sie und Ihre Kleidung trotzdem von der Spurensicherung untersuchen lassen, für alle Fälle.«
Alles an Maria Klee war forsch und munter, von ihrer präzisen Hannoveraner Aussprache bis hin zu ihren kurzen, gut frisierten blonden Haaren. Als Fabel das Vernehmungszimmer verließ, wartete sie vor der Tür auf ihn. Sie hatte ein Blatt Papier in der Hand.
»Wie ist's gelaufen?«, fragte sie.
Fabel wollte gerade antworten, als ein Schutzpolizist eintraf, um Klugmann zur Spurensicherung zu begleiten. Klugmanns und Marias Augen trafen sich einen Moment lang, doch er schien sie nicht wahrzunehmen, während die Polizistin nachdenklich die Stirn runzelte.
»Kennst du ihn?«, erkundigte sich Fabel, als Klugmann und sein Begleiter außer Hörweite waren.
»Ich weiß nicht. Er kommt mir
Weitere Kostenlose Bücher