Jan Fabel 01 - Blutadler
zwei Szenerien, doch das Grauen, das die Bilder beherrschte, war das Gleiche. Ihre Lungen waren aus den Körpern herausgerissen und über die Schultern geschleudert worden. Van Heidens Augen glitten über das Gemetzel, doch sein Gesicht verriet keinerlei Emotion.
»Sie wissen vermutlich, wer oben auf mich - auf uns - wartet, Fabel?«
»Ja, Herr Kriminaldirektor.«
»Und Sie wissen, dass er mir die Hölle heiß macht, damit ich die ... diesen Dingen ein Ende setze?«
»Ich bin mir der politischen Interessen bewusst, denen Sie ausgesetzt sind, Herr van Heiden. Und ich darf Ihnen versichern, dass ich alles tun werde, um zu verhindern, dass noch eine unglückliche Frau dieser Bestie zum Opfer fällt.«
Van Heidens kleine blaue Augen glitzerten kalt. »Meine Interessen, Herr Kriminalhauptkommissar, liegen genau dort, wo sie liegen sollten.« Er schaute wieder zu den Bildern hinüber. »Ich habe eine Tochter, die ungefähr so alt ist wie das zweite Opfer.« Er drehte sich erneut zu Fabel um. »Aber ich kann darauf verzichten, dass der Erste Bürgermeister mir im Nacken sitzt.«
»Wie gesagt, Herr Kriminaldirektor, wir alle versuchen, diesen Mistkerl so schnell wie möglich zu erwischen.«
»Noch etwas. Dieses Gerede von ›die Schwingen des Adlers ausbreiten‹, und über unseren ›heiligen Boden‹ - das gefällt mir nicht. Es klingt politisch. Der Adler ... der Bundesadler?«
»Mag sein«, erwiderte Fabel und warf einen Blick zu Susanne Eckhardt hinüber.
»Mag sein«, bestätigte sie. Ihre Stimme hatte einen süddeutschen Akzent. München, dachte Fabel. »Aber der Adler ist in jeder Kultur ein bedeutendes Symbol, das für Macht und Raub steht. Vielleicht ist es die eigene Metapher des Täters: Er beobachtet das Opfer, kreist ungesehen über ihm, bis er stumm hinabstürzt, um es zu töten. Es ist wahrscheinlicher, dass er durch einen zutiefst sublimierten sexuellen Drang motiviert wird, nicht durch eine extremistische politische Ideologie. Dieser Mann ist kein Fanatiker, sondern er leidet eher an einer Psychose. Allerdings muss ich zugeben, dass die Religiosität der E-Mail - das Gefühl, einen Kreuzzug zu führen - und die rituelle Tötungsmethode mir zu schaffen machen.«
»Suchen wir nach einem durchgedrehten Neonazi oder nicht?«
Van Heidens Stimme hatte einen aggressiven Ton.
»Das bezweifle ich. Das bezweifle ich sehr. Keines der Opfer ist nichtdeutscher Herkunft; sie sind keine typischen Ziele für Neonazis. Zwar kann ich die Möglichkeit nicht ausschließen, aber es dürfte sich eher um einen persönlichen Kreuzzug handeln.« Susanne Eckhardt setzte eine Miene auf wie jemand, der seine Autoschlüssel verlegt hat.
»Was ist, Frau Doktor?«, fragte Fabel.
Dr. Eckhardt lachte leise, fast als müsse sie sich entschuldigen. »Es ist nichts, jedenfalls nichts, was einer professionellen oder auch nur objektiven Prüfung standhalten würde.«
»Bitte lassen Sie es uns trotzdem wissen«, meinte van Heiden.
»Nun ja, diese E-Mail ist geradezu das Lehrbuchbeispiel eines sozial gestörten Psychotikers. Ich meine, alles ist vorhanden: Gefühle sozialer Verwirrung und Isolation, eine pervertierte Bekehrungsmoral, Identifizierung mit einem erhabenen Symbol des Raubes ...«
Fabel spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Noch etwas, das zu genau stimmte. Van Heiden war die Andeutung offensichtlich entgangen.
»Ich verstehe nicht. Sind Sie nun der Meinung, dass die E-Mail echt ist und von unserem Mörder geschrieben wurde oder nicht?«
»Nein ... oder doch.« Susanne Eckhardt lachte erneut und zeigte perfekte, wie Porzellan glänzende Zähne. »Ich weiß nicht genau, was ich sagen soll. Aber wenn ich mich hingesetzt hätte, um eine Nachricht von einem Serienmörder zu schreiben, hätte ich all diese Elemente einbezogen.«
»Ist die E-Mail also eine Fälschung, oder ist sie echt?« Die Schärfe war in van Heidens Stimme zurückgekehrt. »Sie bringen mich ganz durcheinander.«
»Wahrscheinlich ist sie echt. Zwei Morde, zwei E-Mails. Wäre es ein makabrer Spaßvogel oder jemand, der zwanghaft Geständnisse ablegt, wäre das Timing zu gut, um wahr zu sein. Ich wollte es nur hervorheben. Nein, anmerken.« Ihre Augen suchten im Zimmer nach Unterstützung. Mit Erfolg: Fabel nickte nachdenklich.
Van Heiden hörte ihr nicht mehr zu. »Diese letzte ... Eskapade - haben wir noch mehr Anhaltspunkte, Fabel?«
»Sie beunruhigt mich ganz besonders«, sagte Fabel. »Es gibt eine Reihe von Anomalien. Zudem gibt es
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