Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
jemanden… auf etwas … wie ihn stoßen.«
»Und die Tatsache, dass er noch in Freiheit ist?«, fragte Fabel und bedauerte seine Worte sofort. Es war ein Gedanke, der ihn in mehr als einer Nacht um den Schlaf gebracht hatte.
»Er ist inzwischen weit weg von Hamburg«, erwiderte Maria. »Wahrscheinlich fern von Deutschland oder sogar von Europa. Aber falls nicht und falls wir seine Spur wieder aufnehmen sollten, wäre ich bereit für ihn.«
Fabel wusste, dass sie es ernst meinte. Er war sich jedoch nicht sicher, ob er selbst bereit war, dem Blutadler-Mörder erneut gegenüberzutreten. Jetzt oder in Zukunft. Aber diesen Gedanken behielt er für sich.
»Es ist keine Schande, sich erst einmal wieder einzuarbeiten, Maria.«
Sie lächelte auf eine Weise, die Fabel noch nie bei ihr gesehen hatte – ein erstes Anzeichen dafür, dass irgendetwas in ihrem Innern anders geworden war. »Es geht mir bestens, Jan. Das versichere ich dir.« Sie hatte seinen Vornamen noch nie im Büro benutzt und ihn überhaupt zum ersten Mal ausgesprochen, als sie auf dem langen Gras eines Feldes im Alten Land irgendwo zwischen Leben und Tod lag.
Fabel lächelte ebenfalls. »Es ist schön, dass du wieder da bist, Maria.«
Maria wollte gerade antworten, als Anna Wolff an die Tür klopfte und ohne abzuwarten eintrat.
»Entschuldigung, wenn ich störe«, sagte Anna, »aber die Spurensicherung hat mich gerade angerufen. Es gibt etwas, das wir uns sofort ansehen müssen.«
Holger Brauner sah nicht wie ein Wissenschaftler und auch nicht wie ein Akademiker aus. Er war ein mittelgroßer Mann mit dunkelblondem Haar und dem kräftigen Äußeren eines Naturfreundes. Fabel wusste, dass Holger in seiner Jugend Sportler gewesen war und sich seine muskulöse Gestalt bewahrt hatte. Er arbeitete seit einem Jahrzehnt mit dem Leiter der Spurensicherung zusammen, und aus ihrem gegenseitigen fachlichen Respekt hatte sich eine echte Freundschaft entwickelt.
Brauner gehörte dem LKA 3 an, das heißt der Abteilung Kriminaltechnik, die für die Sicherung und Auswertung sämtlicher Spuren zuständig ist. Er verbrachte einen großen Teil seiner Zeit im Institut für Rechtsmedizin, doch daneben hatte er auch ein Büro neben der Kriminaltechnischen Untersuchungsstelle im Präsidium.
Als Fabel sein Zimmer betrat, war Brauner über den Schreibtisch gebeugt und musterte einen Gegenstand durch ein schwenkbares Vergrößerungsglas mit integrierter Beleuchtung. Brauner blickte auf und begrüßte Fabel nicht mit seinem gewohnten breiten Grinsen, sondern winkte ihn ernst heran.
»Der Mörder hat sich mit uns in Verbindung gesetzt«, sagte er grimmig und reichte Fabel ein paar OP -Handschuhe. Dann trat er zurück, damit Fabel das Objekt auf dem Schreibtisch betrachten konnte. Auf einer kleinen Plastikscheibe lag ein rechteckiges Stück gelbes Papier, das ungefähr zehn Zentimeter breit und fünf Zentimeter hoch war. Brauner hatte den Zettel zwischen zwei Scheiben aus durchsichtigem Plexiglas gelegt, um sämtliche darauf vorhandenen Spuren zu sichern. Die Schrift aus roter Tinte war eng, gleichmäßig, sauber und sehr klein.
»Das haben wir in der Faust des Mädchens gefunden. Ich vermute, jemand hat es ihr in die Hand gelegt und die Finger darum geschlossen, bevor die Leichenstarre eingesetzt hat.«
Obwohl die Schrift winzig war, konnte man sie mit bloßem Auge gut lesen, doch Fabel inspizierte sie mit Brauners beleuchtetem Vergrößerungsglas. Durch die Linse sah er nicht nur Worte auf dem Papier, sondern jeder kleine rote Strich wurde zu einem langen Band auf einer zerklüfteten gelben Landschaft. Fabel schob das Vergrößerungsglas zur Seite und las die Botschaft.
Nun bin ich gefunden worden. Ich heiße Paula Ehlers und wohne im Buschberger Weg, Harksheide, Norderstedt. Ich bin unter der Erde gewesen, und nun wird es Zeit für mich heimzukehren.
Fabel richtete sich auf. »Wann hast du das entdeckt?«
»Wir haben die Leiche heute Morgen hinüber zum Butenfeld gebracht, damit Dr. Möller die Autopsie vornehmen kann.« Butenfeld ist die Straße in Eppendorf, in der das Institut für Rechtsmedizin liegt, und ihr Name dient als polizeiliches Kürzel für das dortige Leichenschauhaus. »Bei der vor der Autopsie üblichen Untersuchung haben wir den Zettel in ihrer Hand bemerkt. Wie du weißt, schieben wir Beutel über Hände und Füße, damit unterwegs keine Spuren vernichtet werden, und diese Notiz war, nachdem die Leichenstarre nachgelassen hatte, an ihrer Handfläche
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