Jan Fabel 04 - Carneval
um die Sache hinter mich zu bringen. Es war nicht nur die Vergewaltigung. Der Mistkerl hat mich so zusammengeschlagen, dass ich dachte, ich würde sterben. Und das bin ich ja auch in gewisser Weise. Vera ist gestorben, und ich habe überlebt. Er ließ einen zerbrochenen Körper zurück, und ich habe ihn geheilt. Ich werde nicht von Albträumen über den Clown geplagt. Nicht von posttraumatischen Panikattacken. Ich würde ihm zu gern wieder begegnen … und ihm dann jeden einzelnen Knochen brechen. Ich meine etwas anderes, wenn ich sage, dass er mich immer noch heimsucht. Der Kotzbrocken schreibt mir.«
»Was?« Fabel tauschte Blicke mit den beiden anderen Kollegen aus. »Wie? Per E-Mail?«
»Nein. Es sind Briefe. Ich bekomme sie alle paar Monate.«
»Einen Moment«, ließ sich Scholz vernehmen. »Meinen Sie, er bringt seine Gedanken zu Papier und schickt sie Ihnen mit der Post?«
»Das ist die übliche Methode bei Briefen«, sagte Andrea.
»Aber dann liegt ja Beweismaterial vor. Damit haben wir eine Möglichkeit, ihn aufzuspüren.« Fabel konnte seinen Unwillen kaum unterdrücken. »Warum haben Sie denn bloß keinen Kontakt mit der Polizei aufgenommen?«
Andrea zuckte die Achseln. »Als der erste Brief kurz nach dem Überfall eintraf, hatte ich Todesangst. Aber damals war ich noch die andere. Weich, furchtsam, gefügig. Zu eingeschüchtert, um etwas zu unternehmen. Ich beschloss, meinen Namen zu ändern, und alles Übrige folgte wie von selbst. Dann erhielt ich noch mehr Briefe, sogar nachdem ich den Namen gewechselt hatte und umgezogen war. Sie kommen nicht oft, aber sie kommen.«
»Haben Sie die Briefe aufbewahrt?«, fragte Scholz.
Andrea schüttelte den Kopf. »Inzwischen verbrenne ich sie, ohne sie zu lesen. Diejenigen, die ich gelesen habe, waren alle gleich. Wirres Geschwafel. Wie sehr er sich wünscht, es noch einmal zu tun, und dass er nur auf den richtigen Augenblick wartet.«
»Und das beunruhigt Sie nicht?«, fragte Tansu ungläubig.
»Nein. Er hat die Fähigkeit verloren, mich zu erschrecken. Vielleicht werden wir uns noch einmal begegnen, aber dann hat er Grund, Angst zu haben.«
»Bitte versuchen Sie sich genau daran zu erinnern, was in den Briefen stand, Frau Sandow«, bat Fabel. »Sie müssen sich die Zeit nehmen, alles niederzuschreiben, was Sie noch wissen. Wenn Sie es heute Abend tun, schicken wir morgen jemanden, der Ihre Notizen im Café abholt. Wir brauchen alles, was uns Aufschluss über seine Identität geben könnte.«
»Wie ist es mit seinem Namen?«
Es dauerte einen Moment, bevor Fabel begriff, dass Andrea es ernst meinte. »Er unterschreibt die Briefe?«
»Ausnahmslos. Der Name, den er benutzt, ist Peter Stumpf.«
Fabel hörte Scholz stöhnen. »Sagt Ihnen der Name etwas?«
»Nichts.«
»Aber dir anscheinend«, wandte er sich an Scholz.
»Und ob. Darüber können wir später sprechen.«
Auf dem Rückweg zum Auto erregte jemand auf der anderen Straßenseite Scholz’ Aufmerksamkeit.
»Hallo, Herr Hoeffer!«, rief Scholz. Fabel und Tansu überquerten gemeinsam mit ihm die Straße.
»Erinnerst du dich an das Restaurant, in dem wir waren? Die ›Speisekammer‹?«, fragte Scholz. »Das ist Ansgar Hoeffer, der Küchenchef. Wie ich finde, der beste Koch in Köln, und das will etwas heißen. Wie geht es Ihnen, Herr Hoeffer?«
»Ausgezeichnet. Und Ihnen?«, erwiderte Ansgar, ein recht großer Mann mit hohem Schädel. Sein spärliches Haar war zu Stoppeln geschoren worden. Seine Augen wirkten geweitet und trübselig hinter seinen Brillengläsern. Am meisten fiel Fabel jedoch auf, dass er sich äußerst unbehaglich zu fühlen schien.
»Bestens«, versicherte Scholz. »Was machen Sie in dieser Gegend?«
Ansgar wirkte einen Moment lang erneut nervös. »Oh, ich musste hier ein paar Dinge erledigen. Wie hat Ihnen Ihre Mahlzeit vor ein paar Tagen geschmeckt?« Seine Frage war an Fabel gerichtet.
»Ach, Entschuldigung. Darf ich Sie miteinander bekannt machen«, beeilte sich Scholz. »Herr Hoeffer, dies ist Leitender Hauptkommissar Fabel von der Polizei Hamburg. Er ist wegen … eines Lehrgangs hier.«
Fabel und Ansgar schüttelten einander die Hand.
»Das Essen war vortrefflich«, nahm Fabel den Faden wieder auf. »Wir haben beide das Lammragout bestellt. Köstlich.«
Nach weiterem Smalltalk trennten sie sich voneinander. Ansgar machte sich mit zielbewussten Schritten zum Stadtzentrum auf.
»Ein großartiger Koch«, wiederholte Scholz, als sie seinen Wagen
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