Jan Fabel 04 - Carneval
Informationen nicht ohne Ihre Einwilligung weitergeben.« Sie warf Fabel einen vielsagenden Blick zu. Er kannte den Grund. Zwischen ihm und Andrea herrschte eine Atmosphäre gegenseitiger Feindseligkeit. Er konnte verstehen, weshalb sie der Polizei das Eindringen in ihr neues Leben verübelte, aber er wusste nicht, warum er selbst sie ablehnte.
»Wann haben Sie mit dem Bodybuilding angefangen?«, fragte er.
»Nach dem Überfall. Ich brauchte eine lange physiotherapeutische Behandlung. Da ich meine Kraft erhöhen musste, ließ mich die Physiotherapeutin ab und zu mit Gewichten arbeiten. Damals hatte ich den Einfall, mich zu rekonstruieren. Eine neue Person zu erschaffen.«
»Aber an Ihrer alten Identität gab es doch nichts auszusetzen«, meinte Tansu. »Sie waren das Opfer. Geben Sie sich die Schuld an dem Ereignis?«
»Nein«, protestierte Andrea. »Ich weiß, dass der Scheißkerl die Schuld hatte. Aber die hübsche kleine Vera Reinartz war zu weich und schwach, zu nachgiebig. Und zu verängstigt. Vielleicht hat er sie deshalb ausgewählt. Weil ihr das Wort ›Opfer‹ ins Gesicht geschrieben stand.«
»Und Ihre medizinische Laufbahn …«, fuhr Tansu fort. »Nach allem, was ich gelesen habe, gaben Sie zu größten Hoffnungen Anlass. Sie hätten eine hervorragende Ärztin werden können.«
»Man hat andere Möglichkeiten, sich hervorzutun«, widersprach Andrea. »All das war ein Teil der Vergangenheit. Ein Teil von Vera Reinartz. Und nun erziele ich andere hervorragende Leistungen. Im Jahr 2000 habe ich mit dem Bodybuilding begonnen. Ernsthaft, meine ich. Heute bin ich Expertin – nicht nur in dem Sport und seinen Techniken, sondern auch in seiner Geschichte. Seiner Philosophie. Wussten Sie, dass der Vater des modernen Bodybuilding ein Deutscher war? Eugen Sandow. Zuerst trat er im Zirkus als Kraftmensch auf, später setzte er die Maßstäbe für das Bodybuilding. Er hat den ersten Wettbewerb dieser Art organisiert und beurteilt. Sein Mitschiedsrichter war Arthur Conan Doyle, der britische Autor, der die Gestalt des Sherlock Holmes erfand.«
»Sandow …«, wiederholte Fabel. »Das ist der Name, den Sie übernommen haben. Warum?«
»Ich musste jemand anders sein. Deshalb bin ich Bodybuilderin geworden, Herr Fabel. Wie erwähnt, eine totale Metamorphose. Ich brauchte einen neuen Namen für einen neuen Körper.«
Andrea lehnte sich zurück und presste die Hände an den Küchentresen. Dabei zeichneten sich die Adern ihrer Oberarme unter der braunen Haut ab. Fabel bemerkte das krampfartige Zucken des Bizeps, der ein vom übrigen Körper unabhängiges Leben zu führen schien. Andrea entging sein Blick nicht.
»Halten Sie mich für abstoßend?«, fragte sie. »Widert mein Körper Sie an? Das gilt für die meisten Männer. Aber andere … Oh, Sie würden nicht glauben, wie sich andere Männer aufführen. Sie kommen in Mengen zu den Wettbewerben. Um mich und die anderen Mädchen zu beobachten. Wussten Sie, dass der perfekte Muskeltonus innerhalb einer Stunde nach jedem Training verschwindet? Wir pumpen uns vor jedem Wettkampf auf und absolvieren dann unser Programm. Das ist kein Üben, sondern es dient dazu, den perfekten Tonus aufrechtzuerhalten, bis wir die Bühne betreten.« Sie senkte verschwörerisch die Stimme. »Wussten Sie, dass einige unserer männlichen Fans vor oder nach dem Wettbewerb hinter die Bühne kommen? Kleine Männer, die darum bitten, uns berühren zu dürfen? Unseren Bauch. Unsere Schenkel. Unsere Arme. Nur damit sie die Muskeln in perfektem Zustand befühlen können. Das tun sie aus Bewunderung für den Sport. Fast aus Ehrfurcht. Aber das hindert sie nicht daran, einen kleinen Steifen in der Hose zu haben. Sehen Sie, Herr Fabel, des einen Freud ist des anderen Leid. Was wäre denn Ihre Freud?«
»Sie behaupten, genau zu wissen, dass der Weiberfastnachtsmörder der Mann ist, der Sie überfallen hat.« Fabel hielt Andreas Blick stand. »Wie kommen Sie darauf? Ist Ihnen in all den Jahren vielleicht etwas über die Nacht des Verbrechens eingefallen, das in Ihrer ursprünglichen Aussage fehlt?«
Andrea lachte bitter. »Wissen Sie, Herr Fabel, dass er mich nach so langer Zeit immer noch heimsucht? Der Clown?«
»Das glaube ich Ihnen gern«, warf Tansu ein. »Jeder leidet nach einer solchen Erfahrung unter posttraumatischem Stress.«
»Nein … davon rede ich nicht. Damit bin ich fertig geworden. All das hier …« Sie richtete sich auf und ließ die Muskeln spielen. »… habe ich geschaffen,
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