Jan Fabel 04 - Carneval
und solche, die davon träumen, gegessen zu werden. Das zweite ist viel häufiger. Sämtliche DVDs, die wir bei Hoeffer beschlagnahmt haben, handelten von Frauen, die Männer verspeisen. Und nun haben wir den Zusammenhang zwischen der Vergewaltigung und den Morden. Kein Bindeglied. Ursache und Wirkung. Ich hoffe nur, dass wir rechtzeitig eintreffen …«
5.
Tansu wehrte sich mit Händen und Füßen gegen den Angreifer, doch sie spürte, wie ihre Kräfte nachließen. Sie konzentrierte ihre ganze Anstrengung auf eine entscheidende Aktion und stieß dem Clown den ausgestreckten Finger ihrer freien Hand ins Auge. Sein Arm fuhr hoch, und der Druck an ihrer Kehle ließ nach. Tansu holte mit dem Fuß aus und jagte ihn dem Clown in den Bauch. Er stolperte zurück, und sie zielte auf seinen Unterleib, erwischte ihn jedoch nur oben am Schenkel. Sie riss sich das Band vom Hals. Eine Männerkrawatte, genau wie erwartet. Nun warf sie sich auf den Boden, um die Stelle zu erreichen, an der ihre Pistole liegen geblieben war.
Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass das Gebäude über ihr zusammenbrach, denn der Clown war auf ihrem Rücken gelandet und ließ sie erneut nach Luft schnappen. Er riss sie herum und schloss die Hände um ihre Kehle. Aber er verstärkte den Griff nicht, sondern ergab sich der Drohung von Tansus Dienstpistole, die in das Fleisch unter seinem Kinn gepresst war.
»Ich brauche nur einen Grund, Arschloch«, stieß Tansu mit zusammengebissenen Zähnen hervor. »Nach dem, was du all den Frauen angetan hast. Wo ist Andrea?«
Das Geräusch von Stiefeln ertönte auf der Treppe, und die Tür flog auf. Uniformierte Polizisten drängten sich in den engen Flur, packten den Clown, hielten ihn nieder und legten ihm auf dem Rücken Handschellen an.
Tansu stand auf und sammelte sich. »Wo ist Andrea?«, schrie sie den Clown an.
»Das ist Andrea.« Tansu drehte sich um und sah Fabel und Scholz im Flur stehen. Sie schaute hinunter auf den Clown. Auf den männlichen Körperbau, die kantigen Kiefer.
»Ich kann’s nicht glauben …«
»Es stimmt«, sagte Scholz. »Deshalb haben wir an den Tatorten kein Sperma gefunden.«
»Sie hat die Frauen ermordet?«
»Ja. Aber die erste Frau, die sie umgebracht hat, war sie selbst. Vera Reinartz.«
Sie traten zurück, als die Schutzpolizisten Andrea auf die Beine zerrten. Deren Augen waren leer, und ihre Miene ließ nichts außer dem aufgemalten Lächeln erkennen. Die Beamten führten sie aus der Wohnung hinaus.
»Das war der Zusammenhang zwischen der Vergewaltigung und den Morden. Benni und ich haben schon darüber gesprochen: Ursache und Wirkung. Lüdeke hat Andrea vergewaltigt und sie seiner Perversion unterworfen, indem er sie wiederholt biss. Sie hasste sich selbst – oder vielmehr sich selbst als Vera – und ahmte Lüdekes Überfall nach. Nur ging sie noch weiter. Sie hat jedem Opfer Fleisch herausgeschnitten und es gegessen. Ein zusätzlicher kleiner Dreh, den sie sich nach ihrer Begegnung mit Ansgar Hoeffer angeeignet hat.«
»Jan hat das herausgefunden«, erklärte Scholz. »Wir sind hierhergerast, um dich zu retten, aber anscheinend hast du keine Hilfe benötigt.«
»Es war knapp.« Tansu rieb sich die Kehle.
»Brauchen Sie einen Arzt?«, fragte Fabel.
»Nein, ich brauche einen Barmann. Aber vermutlich müssen wir vorher den Papierkram erledigen.«
6.
Die Kneipe war klein, voller Leben und Lärm. Genau das hatte Fabel sich gewünscht. Es war drei Uhr morgens, und die Party war noch in vollem Gang. Scholz, Fabel und Tansu mussten sich brüllend vorbeugen, um gehört zu werden.
Andreas Daten waren aufgenommen worden, und man hatte sie in einer Zelle untergebracht. Scholz hatte die Erstellung eines psychiatrischen Gutachten veranlasst. Allerdings musste damit noch ein wenig gewartet werden, denn sogar Psychiater machten offenbar im Karneval Urlaub, um ihre Vernunft hinter sich zu lassen.
Fabel und Scholz beschrieben Tansu die Wunde an Ansgars Gesäß und sprachen von seinem sexuellen Drang, gegessen zu werden. Die Agentur À la Carte mit ihrem Ruf, ungewöhnlichere Wünsche zu befriedigen, habe Andrea angeworben, und Ansgar sei für einen Moment der Verunstaltung ihr Kunde gewesen.
Andrea saß nun stumm in ihrer Zelle. Sie weigerte sich, Fragen zu beantworten oder überhaupt eine Reaktion zu zeigen. Fabel hielt es für möglich, dass sie nicht einmal wusste, was sie getan hatte. In ihrer Wohnung war ein Tagebuch gefunden worden. Es enthielt die üblichen
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