Jan Fabel 04 - Carneval
nicht da. Als Besucher, der der Polizei eines anderen Bundeslandes angehörte, war er unbewaffnet. Ansgar hielt das Messer zitternd vor seinen Körper.
»Ich bin krank«, wiederholte er. »Pervers. Ich habe es nicht verdient zu leben … Ich halte das Chaos nicht aus.« Das Messer glänzte in der trüben Straßenbeleuchtung, als er es zunächst nach oben und dann hinunter – auf seinen Bauch zu – schwang. Fabel rammte ihm die Schulter in die Seite, der Koch wurde an eine Hauswand geschleudert, und das Messer fiel klirrend zu Boden.
»Kommt nicht infrage«, sagte Fabel, drehte Ansgar um, bog seine Arme zurück und ließ die Handschellen zuschnappen. »Ich habe schon jemanden auf diese Art verloren.«
2.
»Also wer ist unser Mörder?«, fragte Scholz. »Ich bin völlig durcheinander. Wir haben den eindeutigen Beweis, dass Lüdeke Vera oder Andrea 1999 vergewaltigt hat, aber nun stoßen wir auf Ansgar Hoeffer, der vor ihrer Wohnung herumlungert und ein Geständnis ablegen möchte.«
»Was für ein Geständnis, wissen wir noch nicht«, gab Fabel zu bedenken.
»Ich glaube, wir dürfen eine Vermutung wagen … Bei der Durchsuchung seines Hauses sind diese Herrlichkeiten zutage gefördert worden.« Scholz deutete auf einen Beweiskarton auf seinem Schreibtisch. »Und wir haben seinen Computer auf die Schnelle überprüft. Dreimal darfst du raten, was seine Lieblings-Website ist.«
»Anthropophagi?«
»Genau.«
Fabel sah sich den Inhalt des Beweiskartons an. Ein paar Zeitschriften, DVDs, VHS-Bänder. Er las einige der DVD-Titel, in denen immer wieder das gleiche Thema variiert wurde: »Fleischfressende Zombie-Frauen«, »Kannibalinnen von Lesbos«, »Nahrung für die Dämoninnen«.
»Na, wie ist’s?«, fragte Scholz. »Hast du etwas gesehen, das du dir ausleihen möchtest?«
»Irgendwas stimmt hier nicht. Das passt nicht zusammen. Lass uns mit ihm sprechen. Aber einstweilen sollte Tansu bis Mitternacht vor Andrea Sandows Wohnung bleiben. Hast du sie über alles informiert?«
»Ja … Sie meint, dass sie sehr sauer wäre, wenn sie nicht an der Party teilnehmen könnte.«
Fabel musterte Scholz von oben bis unten. »Übrigens«, sagte er mit einem Grinsen, »solltest du vielleicht den Rock ausziehen, bevor wir ihn vernehmen.«
Fabel verspürte merkwürdigerweise aufrichtiges Mitleid mit Ansgar Hoeffer. Der Koch saß bleich und traurig im Vernehmungszimmer. Seine Wange war zerschrammt nach der Begegnung mit der Hauswand, an die Fabel ihn geschleudert hatte.
»Warum haben Sie vor Andrea Sandows Wohnung gestanden?«, fragte Scholz.
»Ich wollte mit ihr reden. Ich brauchte …« Er ließ seine Worte verklingen.
»Sie brauchten was?«, hakte Fabel nach.
»Ich habe eine Vorliebe …«
»Für Kannibalismus?«, ergänzte Scholz.
Ansgar hob überrascht den Kopf. »Woher wussten Sie das?«
»Seien Sie nicht albern, Herr Hoeffer«, sagte Scholz. »Ihnen ist doch klar, worum es geht. Weshalb Sie hier sind. Und außerdem haben wir Ihre Sammlung schmutziger Filme gesehen.«
»Ich wusste nicht, dass ich etwas Ungesetzliches getan habe.« Ansgar schaute die Polizisten flehend an.
Scholz wollte etwas erwidern, doch Fabel schnitt ihm das Wort ab. Alles fügte sich zusammen.
»Herr Hoeffer«, drängte er, »wissen Sie, wer Vera Reinartz ist?«
»Nein.«
»Das hatte ich auch nicht erwartet. Aber Sie kennen Andrea Sandow?«
»Ich kenne sie nur als Andrea. Andrea die Amazone. Ich hatte sie seit dem letzten Mal nicht mehr gesehen. Dann, vor ein paar Wochen, bin ich ihr zufällig begegnet … und ihr gefolgt. Ich habe herausgefunden, wo sie arbeitet. Wo sie wohnt.«
»Wann haben Sie sich zuerst mit ihr getroffen?«
»Es war nur einmal. Vor drei Jahren. Ich hatte sie über eine Hostessenagentur gemietet. À la Carte. Ich habe sie dafür bezahlt.«
Scholz tauschte einen Blick mit Fabel aus. »Wofür denn, Herr Hoeffer?«
»Ich kann es Ihnen zeigen.« Ansgar stand auf, öffnete seinen Gürtel und drehte sich seitwärts, während er seine Hose und Unterhose herunterließ, um sein Gesäß zu entblößen.
3.
Tansu saß im Auto und beobachtete das erleuchtete Fenster von Andreas Wohnung. Gelangweilt dachte sie, dass sie die Weiberfastnacht auf mancherlei bessere Art hätte verbringen können. Aber dies war der Grund für ihren Eintritt in die Polizei gewesen: zu beobachten und zu beschützen. Es tröstete sie zu wissen, dass die Straßen heute Abend – ob nun Lüdeke oder Hoeffer der Mörder war – sicher sein würden.
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