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Jan Fabel 04 - Carneval

Titel: Jan Fabel 04 - Carneval Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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egomanischen Ergüsse, doch sie ließen vermuten, dass der Clown sich selbst als Mann sah und sich eine ganz andere Persönlichkeit als die Andreas zuordnete. Auf ähnliche Weise hatte Andrea ihre einstige Existenz als Vera Reinartz verdrängt.
    »Was, eine multiple Persönlichkeit?«, fragte Tansu. »Ich dachte, dass sei nur Schwindel.«
    »Der Fachbegriff dafür ist dissoziative Identitätsstörung«, erklärte Fabel. »Die Amerikaner bewerten sie als ernst zu nehmende Erkrankung, aber du hast recht: Sie wird von Psychiatern außerhalb der USA nicht im selben Maße akzeptiert. Trotzdem würde es mich nicht wundern, wenn Andrea dies zu ihrer Verteidigung anführt, um eine Gefängnisstrafe zu vermeiden. Vielleicht ist das Schweigen in der Zelle nur Strategie.«
    Sie saßen an einer Ecke der Bar des Lokals, und wieder wurde Fabels Glas ohne Bestellung regelmäßig mit Kölsch gefüllt. Er grinste über die rauen Lieder in einem Dialekt, den er nicht verstand, und bemerkte freudig, dass er höchstwahrscheinlich betrunken war. Tansu saß neben ihm, und immer wenn sie sich an ihn lehnte, um besser gehört zu werden, spürte er die Wärme ihres Körpers.
    »Benni hat gesagt, dass Sie Andrea auf die Schliche gekommen sind«, rief Tansu. »Wie denn bloß?«
    »Durch verschiedene Dinge. Zum Beispiel dadurch, dass die Kölsche Jungfrau, wie ich von Ihnen weiß, ein Mann ist«, erwiderte Fabel. »Im Karneval geht es darum, jemand anders zu werden, all das herauszulassen, was man im Innern verschlossen hat. Irgendetwas an Andrea hat mir sofort zu schaffen gemacht. Dann wollte ein Tourist im Dom von mir wissen, weshalb eines der Buntglasfenster ein Nashorn enthielt. Es ist ein Symbol der Stärke und des gerechten Zorns unter all den Metaphern der Auferstehung. Genau dazu hatte Andrea sich umgestaltet. Sie hat die Frauen ermordet, weil sie in ihnen sich selbst – und Vera – sah. Zuerst tötete sie Veras Identität auf gesetzlichem Wege ab, und danach machte sie sich daran, sie immer wieder leibhaftig umzubringen. Ja, und das letzte Indiz war das sehr große Gesäßstück, das Ansgar Hoeffer fehlt. Man brauchte nicht Sherlock Holmes zu sein, um danach alles zusammenzufügen.«
    Sie hörten auf, über den Fall zu sprechen, und Fabel merkte, wie er weiter in eine angenehme Trunkenheit hineindriftete. Es wurde noch schwieriger, durch den Lärm in der Kneipe hindurch etwas zu hören, und ihre Unterhaltung war nun einsilbig. Eine weitere Gruppe aus dem Polizeipräsidium stieß zu ihnen, und gemeinsam beschlossen sie weiterzuziehen. Fabel sah, wie Scholz mit einer hübschen, als Nonne verkleideten jungen Frau die Kneipe verließ.
    »Simone Schilling«, beantwortete Tansu seine stumme Frage. »Chefin der Spurensicherung.«
    Fabel ließ sich von dem Strom der Körper auf die Straße hinaustragen. Es wimmelte von Passanten, und Fabel merkte plötzlich, dass er von den anderen Polizisten getrennt worden war und in einem Meer von Nachtschwärmern dahintrieb. Durch die kalte Luft fühlte er sich noch betrunkener, aber ein Teil seiner alten Sorge, die Kontrolle zu verlieren, kehrte zurück.
    »Ich dachte schon, wir hätten Sie verloren.« Tansu war neben ihm aufgetaucht. »Wir sollten uns in eine ruhigere Umgebung zurückziehen. Aber vorher bestehe ich auf einem Brauch der Weiberfastnacht. Ich verlange einen Kuss.«
    »Na gut«, sagte Fabel lachend, »wenn das Gesetz es vorsieht …« Er beugte den Kopf, um Tansu keusch auf die Wange zu küssen, doch sie nahm sein Gesicht zwischen die Hände und zog ihn an sich. Dann spürte er ihre Zunge in seinem Mund.

ZWÖLFTES KAPITEL

    24.–28. Februar

    1.

    Das Licht war wieder an, als Maria frierend und verkrampft aufwachte. Das Frösteln und die Schmerzen vereinigten sich zu einem fortlaufenden Glissando, doch dann machte sich die Stirnwunde bemerkbar, die der Wächter ihr mit seinem Pistolenknauf zugefügt hatte. Einen Moment lang hatte sie den Eindruck, dass die Kühlung erneut eingeschaltet war, bevor ihr klar wurde, dass es sich lediglich um die Reaktion ihres Körpers auf die Brutalitäten handelte. Für Maria war die Kälte jetzt nicht mehr gleichbedeutend mit dem Tod, sondern damit, dass ihre Sinne noch nicht abgestorben waren. Kälte bedeutete Leben.
    Aber sie haben meinen Geist gebrochen, überlegte Maria gefasst. Sie wusste, dass ihre Gedanken und Gefühle sich verändert hatten. Maria Klee schien jemand zu sein, den sie kannte, nicht jemand, dessen Identität sie teilte. Maria Klee

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