Jan Fabel 04 - Carneval
herauszufinden, als was Sie geboren wurden. Als Mann oder als Frau? Ich kann’s nicht sagen, verdammt. Sind Sie ein Mannweib?«
Andrea richtete sich auf. »Raus. Sofort.«
»Wieso bilden Sie sich ein, hier unter normalen Menschen arbeiten zu können? Schließlich wird hier Essen serviert. Aber jedem, der Ihre Fresse sieht, dreht sich der Magen um.«
Seine Partnerin versteckte sich noch immer schweigend hinter ihrem Haarvorhang.
»Sie haben zwei Sekunden, um zu verschwinden«, sagte Andrea. Ihre ruhige Stimme täuschte über den lodernden Zorn und Hass in ihrem Innern hinweg. »Oder ich rufe die Polizei.«
Der Mann stand auf und zupfte das Mädchen am Ärmel. Sie erhob sich rasch, glitt hinter dem Tisch hervor und stahl sich hinaus, ohne irgendjemanden anzusehen. Der hässliche junge Mann betrachtete Andrea voller Abscheu. Er versuchte, sie aus dem Weg zu drängen, doch ihr Körper gab nicht nach.
»Blöde Missgeburt …« Er lachte spöttisch, während er sich seitwärts an ihr vorbeiquetschen musste.
Andrea beobachtete die beiden, wie sie draußen an der Fensterfront vorbeigingen. Der Mann lachte durch das Glas, während seine Gefährtin weiterhin versuchte, unbemerkt zu bleiben. Nachdem sie außer Sicht waren, atmete Andrea tief durch und wandte sich den anderen Gästen mit einem breiten Lächeln zu, bei dem sie ihre kräftigen weißen Zähne hinter den roten Lippen zeigte.
»Es tut mir wirklich leid«, erklärte sie.
Einer der Stammgäste sagte: »Gut gemacht … So muss man mit diesem Abschaum umgehen.«
Weiterhin lächelnd, bat Andrea die andere Kellnerin: »Kannst du eine Weile für mich einspringen, Britta?« Dann ging sie in die Küche und rannte von dort durch die Hintertür in die schmale Gasse hinaus. Sie sprintete zu einer Seitenstraße, die im rechten Winkel zur Eintrachtstraße führte, und dann weiter zur Kreuzung mit der Cordulastraße. Dort waren sie. Das Mädchen hatte noch immer den Kopf gesenkt, während der kleine Mistkerl sie laut beschimpfte. Die Körpersprache der beiden – seine aggressiv, ihre unterwürfig – ließ keinen Zweifel am Wesen ihrer Beziehung, und Andrea erkannte, dass Gewalt darin eine Rolle spielte. Kaum ein anderer Fußgänger war zu sehen, und nur ein paar Autos fuhren auf der nassen Straße vorbei. Andrea duckte sich hinter die Ecke. In der kalten Luft überzogen sich ihre im Sonnenstudio gebräunten Arme mit Gänsehaut. Doch ihr Zorn loderte weiter.
Der Mann war so sehr damit beschäftigt, das Mädchen anzuschreien, dass er nicht bemerkte, wie Andrea ihm den Weg verstellte. Er schaute verdutzt auf, als sie ihn am Mantelaufschlag packte und in die Seitenstraße zerrte.
»Wie hast du mich genannt?« Ihr Gesicht verhärtete sich unter der Schminke. Er antwortete nicht, und sie schmetterte ihn an die Mauer. »Wie hast du mich genannt, du Scheißer?«
»Ich … ich …« Die Miene des kleinen Dreckskerls ließ Furcht und Verwirrung erkennen.
Andrea schaute in sein bleiches Pickelgesicht. Tief in ihrem Innern öffnete sich der Hochofen ihres glühenden Hasses. Ihre Stirn knallte ihm ins Gesicht, und sie spürte, wie seine Nase zertrümmert wurde. Sie ließ ihn los, und er starrte sie mit blutverschmierter Miene an. Andrea nutzte seinen Schock und rammte ihm ihren Stiefel in den Unterleib. Keuchend und würgend sank er auf die Knie und umklammerte seine gequetschten Hoden. Andrea drehte sich zu dem Mädchen um, das entsetzt auf ihren Freund starrte, der umgekippt war und nun seitlich auf dem Pflaster lag. Ihr Mund war geöffnet, ein unterdrückter Schrei blieb ihr in der Kehle stecken, und ihre Augen waren mit Tränen gefüllt.
»Du bist noch schlimmer als er«, zischte Andrea sie angewidert an. »Du bist schlimmer, weil du das Opfer spielst. Weil du dich mit allem abfindest. Ich verachte dich. Ich verachte alle Frauen, die so sind wie du. Warum lässt du dich so von ihm behandeln … in der Öffentlichkeit? Hast du keine Selbstachtung?«
Das Mädchen starrte immer noch ihren Freund an. Schock und Furcht spiegelten sich in ihrem Gesicht. Andrea schnaubte und drehte sich auf dem Absatz um. Bevor sie zum Café zurückkehrte, klang ihr der schrille Schrei des Mädchens in den Ohren: »Du Monster! Du dreckiges MONSTER!«
4.
Maria saß auf dem Rand des Hotelbetts und dachte über ihren Plan nach. Sie wusste, dass sich das Chaos nur auf diese Weise besiegen ließ.
Der Einfall war ihr gekommen, als Liese sie nach all dem Kummer mit Frank angerufen hatte. Liese war
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