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Jan Fabel 04 - Carneval

Titel: Jan Fabel 04 - Carneval Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Schnee vor dem knienden Worobjow war dunkel gefärbt. Buslenko berührte seine Schulter, und der Mann kippte nach hinten um. Seine Kehle war aufgeschlitzt, und die Wunde glänzte kalt und dunkelrot im Mondschein.
    »Scheiße!« Buslenko konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die Ränder der Lichtung, um einen Hinweis auf den Feind zu finden. Dann kroch er zu Stojan und Belozerkowski zurück.
    »Er ist tot. Worobjow war einer der Besten in unserem Geschäft. Aber wer ihn überrumpelt hat, muss noch besser sein. Wir sind in Schwierigkeiten.«
    »Witrenko?«
    »Gott weiß, wie er uns hierher gefolgt ist. Jedenfalls steckt er dahinter.«
    »Was ist mit Tenischtschew und Serdutschka?«, fragte Belozerkowski. »Hat er sie auch erwischt?«
    Plötzlich erinnerte Buslenko sich an Olga Sarapenko. »Wir müssen zurück zur Hütte. Los!«
    4.

    Er schaute hinunter zur Leiche auf dem Tisch. Für Oliver barg der Tod keine Rätsel. Er hatte sich daran gewöhnt: so viele Leichen im Lauf der Jahre. Er entsann sich noch an seine erste, wie er ihr Gesicht gemustert und den Menschen anstelle des Fleisches wahrgenommen hatte; eine Frau mit einer Geschichte, mit einem Leben und einer Persönlichkeit. Eine Frau, die geträumt und gelacht und die Sonne auf ihrem Gesicht gespürt hatte. Er sah die Streifen von fernen Schwangerschaften, die Narbe am Knie von einer noch ferneren Kindheitsverletzung, die Falten um ihren Mund von einer Lebzeit des Lachens. Dann hatte er das Messer in sie hineingestoßen und angefangen, sie zu zerschneiden. Plötzlich war sie kein Mensch mehr gewesen.
    Danach war alles erheblich leichter geworden. Er blickte ihnen noch ins Gesicht, bevor er zu schneiden begann, doch er betrachtete sie nicht mehr. Nun waren sie alle nichts als Fleisch: doppelt gekühlt durch den Tod und die Kaltlagerung, bevor Oliver sich ihnen widmen konnte.
    Er atmete tief ein. Die Zerteilung eines menschlichen Körpers war physisch viel anstrengender, als allgemein vermutet wurde. Seiner Lebenskraft beraubt, war er eine schwere, entseelte Masse mit einer äußerst unterschiedlichen Dichte: von fast flüssig über knorpelig bis hin zu derb und unnachgiebig. Organe und Knochen, Haut und Fett, Knorpel und Sehnen – um die Materie einer menschlichen Leiche zu durchschneiden, benötigte man stabile Geräte, von denen einige sogar mit Strom betrieben wurden. Oliver hatte alles, was er benötigte, zur Hand. Brotmesser. Elektrosäge, Handsäge. Meißel. Scheren. Messer.
    Wie immer schritt er zunächst um den Tisch herum und begutachtete den leblosen Körper. Der Tote war noch voll bekleidet, und ein Teil des Stoffes von seinem blutdurchtränkten T-Shirt und seinem Küchenkittel war in die tiefen Spalten gepresst worden. Mit lauter Stimme zählte Oliver die Schnitte, von denen einige weit aufklafften, sodass die unter der Haut liegende Schicht aus hellem marmoriertem Fett und darunter die dunklere, dichtere Masse aus Sehnen und Muskeln entblößt waren. Manche der Schnitte ließen weiße Knochen erkennen, und als Oliver sich vorbeugte, um die Wunden zu untersuchen, konnte er feststellen, wo der Knochen durch die Einwirkung des Fleischerbeils abgesplittert war. Im Raum befanden sich noch zwei weitere Männer. Sie halfen Oliver, die Leiche auf den Bauch zu drehen. Er untersuchte den Rücken. Hier fand er weniger Wunden, doch auch sie waren nicht unerheblich.
    »Wir müssen ihn ausziehen«, sagte Oliver. Zusammen mit den beiden Männern zerschnitt und entfernte er die Kleidung des Toten. Nachdem der Körper nackt war, setzte Oliver seine Beobachtungen fort und trug seine Gedanken wieder laut vor. Es war eines der ersten Dinge, die Oliver als Gerichtsmediziner gelernt hatte: sich Zeit zu nehmen und seine Augen zu benutzen. Beobachtungen anzustellen. Häufig verglich er seine Arbeit mit der eines Archäologen, der zur Aufklärung der vollständigen Geschichte ebenfalls Technologie, Naturwissenschaft und in seiner Berufspraxis erworbene Fähigkeiten einsetzte. Aber zuerst musste man, wie ein Archäologe, der eine Landschaft nach einer möglichen Ausgrabungsstätte absuchte, wissen, wo der beste Ansatzpunkt war.
    »Das Mordopfer ist männlich, Anfang zwanzig, hager. Zahlreiche Wunden deuten auf Gewalteinwirkung hin …«, sprach Oliver in sein Diktafon. »Die Schnitt- und Schürfwunden lassen vermuten, dass der Tote während des Angriffs überwiegend in Bewegung war. Die Wunden sind hauptsächlich ante mortem, doch einige auch post mortem.« Oliver nickte dem

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