Jan Fabel 04 - Carneval
wie selten sie benutzt worden waren.
Maria setzte sich und trank einen Schluck Wodka. Dabei fühlte sie sich nicht weniger auffällig als am Vorabend, doch diesmal hatte sie alles unter Kontrolle. Ihre Besorgnis ließ nach. Es waren zahlreiche Gäste gekommen, die sich um die Tische und am Tresen drängten oder in sich laut unterhaltenden Gruppen herumstanden. All das half Maria, so unauffällig in der Menge unterzutauchen, wie dies für eine einzelne junge Frau in einer derartigen Kneipe möglich war. Sie merkte, dass recht viele Unterhaltungen in einer slawischen Sprache geführt wurden. Allerdings wusste sie nicht, ob es Polnisch, Russisch oder Ukrainisch war, denn diese Sprachen hörten sich für sie identisch an.
Sie warf einen Blick zu den beiden Männern hinüber, die sie am Samstagabend belästigt hatten. Der Dicke mit dem verletzten Gesicht schien sich noch immer sehr leidzutun, und sein Saufbruder wirkte genauso verdrießlich, versuchte jedoch, ihn zu trösten.
Maria drehte sich wie zufällig auf ihrem Barhocker um. Sie brauchte eine Weile, um Viktor ausfindig zu machen. Er saß an einem Tisch in der fernen Ecke und war von blauem Zigarettenrauch umhüllt. Aufgeregt stellte sie fest, dass er mit einem anderen Mann redete, während seine Freundin finster und gelangweilt danebensaß. Etwas an Viktors Körpersprache verriet Maria, dass sie das große Los gezogen hatte, denn er schien erhebliche Angst vor seinem Gesprächspartner zu haben. Der Mann wandte ihr den Rücken zu, doch sie nahm genug von seinem Profil, seiner Statur und Haarfarbe wahr, um ihn identifizieren zu können, wenn er die Gaststätte verließ. Sie leerte ihr Glas und stand auf.
»Was ist mit Ihrem Freund?«, fragte der Wirt.
»Der kann mich mal. Er hat Pech gehabt«, sagte sie mit einem Grinsen und ging hinaus.
3.
Es war Montag, der fünfundzwanzigste. Buslenko hatte die Möglichkeit gehabt, sein Team drei Tage lang zu instruieren. Eigentlich genügte das nicht, doch da Witrenko zahlreiche Spitzel und Doppelagenten in den gesamten ukrainischen Sicherheitsapparat eingeschleust hatte, bestand ihre einzige Chance darin, zügig zu handeln und ihn zu überraschen.
Buslenko war beeindruckt von den Kräften, die Sascha ausgesucht hatte. Nach nur drei Tagen hätte man glauben können, dass die acht Teammitglieder seit Jahren zusammenarbeiteten. Die einzige, wenn auch nicht maßgebliche Ausnahme war Olga Sarapenko. Durch ihre frühere Zugehörigkeit zur Kiewer Stadtmiliz unterschied sie sich ein wenig von den anderen. Allerdings bestand kein Zweifel daran, dass sie robust genug war. Buslenko fiel es gleichwohl schwer, sie objektiv zu betrachten, weil er die Tatsache, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte, immer wieder unterdrücken musste.
Im Übrigen hatte das Team es mit einem anderen Feind zu tun, der noch unberechenbarer als Witrenko war. Das Wetter war umgeschlagen und hatte den Pfad durch weitere Schneefälle unbefahrbar gemacht. Buslenko war von Anfang an klar gewesen, dass ihr Treffen an einem derart abgelegenen Ort mitten im ukrainischen Winter dieses Risiko mit sich brachte. Deshalb hatte er sich bei der Festlegung des Operationsbeginns zwei Tage Spielraum eingeräumt. Trotzdem würden sie sich ausgraben müssen, wenn noch mehr Schnee fiel.
Buslenko beschloss, am dritten Abend keine Gespräche über die ihnen bevorstehende gefährliche Mission mehr zu gestatten. Stojan, der Krimtatar, wärmte die übrig gebliebenen wareniki auf. Sie aßen, spielten Karten und hielten abwechselnd in der kalten Nachtluft Wache. Buslenko fühlte sich stets sicherer, wenn Worobjow an der Reihe war. Er gehörte zu den Teammitgliedern, die Buslenko persönlich ausgewählt hatte, und er würde für die Sicherheitsmaßnahmen der Aktion verantwortlich sein. Worobjowas Dienst in einer Titan-Spezialeinheit befähigte ihn, jede Umgebung auszukundschaften und genau festzustellen, woher Gefahr drohte. Das galt für eine ihm bisher unbekannte deutsche Stadt genauso wie für den hiesigen schneebedeckten Wald. Worobjow hatte einen zweistündigen Wachdienst übernommen und war nun zwei Minuten überfällig.
Olga Saropenko, in ihren Schaffellmantel gehüllt, kam zurück in die Hütte. Sie hatte etwas frische Luft schnappen wollen und draußen eine Zigarette geraucht.
»Hast du Worobjow gesehen?«, fragte Buslenko.
Sie zuckte die Achseln. »Nein. Aber ich war nur draußen auf der Veranda. Er könnte weiter unten auf der Zufahrt sein.«
Buslenko schaute auf
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