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Jan Fabel 04 - Carneval

Titel: Jan Fabel 04 - Carneval Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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medizinischen Sektions- und Präparationsassistenten und dem assistierenden Gerichtsmediziner zu, worauf die Leiche mit einem Bandmaß vermessen wurde.
    Er nahm sich Zeit und untersuchte jeden Fleck und jede Quetschung, bevor er den Befund diktierte. Der Mann auf dem Tisch war zu Tode gehackt worden, doch Oliver sah kein Grauen, keinen Schmerz, sondern nur Verletzungen, die methodisch einzeln aufgezählt werden mussten. Es galt, die jeweilige Position und Ausrichtung der Wunden am Körper festzuhalten, die Länge und Tiefe zu vermessen. Für Olivers Arbeit war der Tod lediglich zu einem Zeitpunkt geworden, einem Moment, durch den sich jede Verletzung, jeder Kratzer als ante mortem, peri mortem oder post mortem einstufen ließ. Innerhalb von Sekunden nach dem Tod begann eine ganz neue Chronologie: Zellen zerfielen; Blut, das ein Leben lang durch einen endlosen Kreislauf gepumpt worden war, sammelte sich an den tiefsten Punkten des Körpers und ließ purpurne Leichenflecke auf der Haut erscheinen; die Chemie der Muskeln änderte sich, sodass vorübergehend Rigor mortis einsetzte; Bakterien im Blut und in den Organen erzeugten Gase, durch die Hohlräume und Weichgewebe aufgebläht wurden.
    Oliver begann am Kopf und arbeitete sich bis zu den Füßen vor, wobei er die Topografie der Leiche kommentierte. Beobachtungen, Bemerkungen, Messungen. Auf einer Körperkarte markierte er einerseits die sauberen und scharfkantigen Schnittwunden, andererseits die Lazerationen, wo die Waffe das Fleisch zerteilt, doch an den Wundrändern Risse hinterlassen hatte. Für einen Gerichtsmediziner war der Unterschied stets erkennbar. Danach gab er dem Sektionsassistenten ein Zeichen, der den Kopf der Leiche anhob und einen Gummikeil unter den Nacken gleiten ließ.
    Bei der Arbeit dachte Oliver an seine Kindheit zurück und daran, wie sein Vater Fleisch zerteilt hatte. Vor langer Zeit. Der Sektionsassistent vollführte mit dem Skalpell einen U-förmigen Schnitt um den Haarboden, während Oliver eine T-förmige Öffnung des Rumpfes vornahm: einen Schnitt quer über die Brust vom unteren Rand des einen zum unteren Rand des anderen Schlüsselbeins; dann einen langen, gleichmäßigen Schnitt von der Kehle zur Leiste. Er zog die Haut und das subkutane Gewebe zurück, sodass der Brustkorb freigelegt wurde. Das war viel schwieriger als in den meisten Fällen, weil die Angreifer dem Körper zahlreiche weitere Verletzungen beigebracht hatten. Zudem konnte er das leichte Flattern in seinem Innern nicht unterdrücken, wenn er an die Geschehnisse im Hotel zurückdachte. Er griff nach einer Schere, die aussah, als sollte sie zum Beschneiden von Rosen verwendet werden, und öffnete den Brustkasten. Einmal rechts und einmal links von der Mitte unter den Schlüsselbeinen, wo die Rippen aus Knorpeln bestehen. Er hob das Brustbein heraus und legte den Herzbeutel frei, den er mit einer der kleineren Scheren aufschnitt.
    Oliver wusste, dass er früher oder später gefasst werden würde. Er war ein intelligenter Mann, und durch seine Arbeit hatte er ständig Kontakt mit der Polizei. Die Beamten waren nicht dumm, und Oliver sah ein, dass sich die Wahrscheinlichkeit einer Verhaftung mit jeder Tat exponentiell erhöhte. Er griff zu dem langen scharfen Messer, bekannt als Brotmesser, und schnitt das Herz heraus. Der assistierende Pathologe saugte mit einer Spritze etwas Blut aus dem Herzen und gab es in einen Probenbehälter. Oliver zog die Haut am Hals zurück. Einer der Hiebe hatte den Hals getroffen, deshalb öffnete Oliver die Kehle, indem er sie vom Jugulum bis zum Kinn aufschnitt. Das Fleischerbeil hatte den Musculus sternomastoideus fast völlig durchtrennt. Hier lag die unmittelbare Todesursache: Das Opfer war infolge der multiplen Schnittwunden verblutet, doch die Durchtrennung der Schlüsselbeinarterie hatte den Vorgang beschleunigt. Oliver malte sich die Einzelheiten aus, worauf er normalerweise verzichtete: Der Mann musste unter extremem Schock gestanden und sehr stark gefroren haben, wonach sich Bewusstlosigkeit und Tod sehr rasch einstellten.
    Vielleicht hatte die Polizei bereits einen Verdacht. Vielleicht hatte Oliver etwas gesagt oder getan oder zurückgelassen, das sie zu ihm führen würde. Vielleicht wurde er überwacht, und man wartete nur auf eine Wiederholung.
    Er vollführte einen Medianschnitt in die Peritonealhöhle und griff nach dem Brotmesser, um die Halsorgane abzutrennen. Nachdem er die Zunge und Kehle des Opfers entfernt hatte, hob er

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