Jan Fabel 04 - Carneval
bestraft. Er wünschte sich, wie andere Männer – normale Männer – zu sein. Dann wäre alles unkompliziert. Sie würde sich von ihm bumsen lassen – oder auch nicht. Aber jedenfalls würde er nicht von den süß-obszönen Bildern, den gefährlichen, köstlichen Fantasien geplagt werden. Auch die Arbeit konnte ihn nicht ablenken. Im Gegenteil: Wenn Jekaterina Fleisch in die Hand nahm, ein Bratenstück mit einem Beil zerteilte, das Fett mit einem Messer abschnitt, eine Hühnerbrust filetierte und das weiche Fleisch auseinanderriss, dann wurden diese einfachen, unschuldigen Akte zu einer erotischen Folter für Ansgar. Doch am schlimmsten quälte ihn der verbotene, gefährliche, nicht auszudrückende Gedanke, dass er sich seinen Traum vielleicht sogar erfüllen konnte. Dass er mit Jekaterina tun konnte, was er wollte.
Nicht nur seine Gedanken, sondern auch seine Augen schweiften ab. Sein Blick fiel auf Jekaterina und liebkoste jeden Zentimeter ihrer üppigen, kurvenreichen Figur. Dann trafen sich ihre Augen. Sie erwiderte seinen Blick und lächelte.
Als wüsste sie Bescheid.
8.
Das Restaurant, das Scholz mit Fabel aufsuchte, lag in der Dagobertstraße in der Kölner Altstadt. Es war im Erdgeschoss eines eleganten Giebelgebäudes untergebracht.
»Was empfiehlst du?«, fragte Fabel.
»Dieser Laden hat einen sehr guten Ruf. Vor ungefähr einem Jahr ist ein neuer Koch eingestellt worden, und der hat Wunder gewirkt. Jetzt wird auch das Karnevalsmenü angeboten … aber du möchtest wahrscheinlich Fisch.« Benni runzelte die Stirn, während er die Speisekarte absuchte. »Hier bevorzugen wir Fleischgerichte.«
»Ob du es glaubst oder nicht«, sagte Fabel belustigt, »im Norden essen wir nicht nur Fisch.«
»Auch wir essen Fisch. Wusstest du, dass in Köln der größte Fischmarkt Deutschlands war? Weil der Rhein wie eine mittelalterliche Autobahn durch die Stadt floss. Köln war das Umschlagszentrum für die gesamten umliegenden Gebiete. – Also dann, was hältst du von Lammragout mit Feigen? Das ist hier sehr gut. Und dazu – einen netten Rheinwein oder ein noch netteres Kölsch?«
Sie einigten sich auf eine Flasche Assmannshäuser Spätburgunder und gaben ihre Bestellung auf.
»Angenehm ist es hier«, lobte Fabel. Das Restaurant hatte eine weiß verputzte, gewölbte Decke und eine geschwungene, auf die Straße hinausblickende Doppelfenstertür. Fabel bemerkte, dass es nun ein wenig heftiger schneite.
»Ja …« Scholz blickte sich anerkennend im Restaurant um. »Es ist nicht schlecht. Köln ist voll von vorzüglichen Lokalen. Wir haben fast jede Küche der Welt und auch vegetarische Restaurants. Köln ist jetzt eine große Konferenz- und Tagungsstadt und wird von vielen Geschäftsleuten besucht. Mir gefällt es hier, aber manchmal hätte ich gern etwas … na ja, Deftigeres. Mein Essen sollte gut zubereitet, nicht nur gut gestaltet sein, wenn du verstehst, was ich meine. Aber du wolltest mich über den Kannibalismus aufklären. Anscheinend weißt du ja einiges darüber.«
Der Kellner brachte den Wein, und Scholz forderte Fabel auf, ihn zu probieren. Offensichtlich erwartete er, dass Fabel ein besserer Weinkenner war als er selbst.
»Schmeckt ausgezeichnet«, sagte Fabel, und der Kellner füllte beide Gläser. »Um ehrlich zu sein, ich habe vor der Fahrt ein paar Sachen darüber nachgeschlagen.«
Scholz schüttelte den Kopf. »Ich kapiere es immer noch nicht. Warum geilt es jemanden auf, wenn er einen anderen frisst?«
»Die menschliche Sexualität ist sehr komplex, Benni. Du hast doch bestimmt schon genug merkwürdige Fälle gehabt, um das bestätigen zu können. Es gibt Perversionen, die sich um die Vorstellung drehen, einen sexuellen Partner zu essen oder von ihm gegessen zu werden. Unsere Münder sind sekundäre Geschlechtsorgane. Man könnte fast sagen, dass auch Oralsex eine Art kannibalistisches Verhalten ist.«
»Offensichtlich geben wir uns mit unterschiedlichen Frauentypen ab«, grinste Scholz.
»Jedenfalls existieren mehrere Formen des Kannibalismus. Oder unterschiedliche Motive, wenn du so willst. Anthropologen und Psychologen sprechen von zwei Hauptgruppen: vom Ritual- und vom Nahrungskannibalismus. Beim zweiten geht es um reine Genusssucht – Menschenfleisch wird wegen seines Geschmacks oder der Erfahrung halber gegessen, jedoch ohne dass damit ein sexuelles Vergnügen verbunden ist. Die allerhäufigste Form des Nahrungskannibalismus dient dem Überleben, wenn keine andere Nahrungsquelle
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