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Jan Fabel 04 - Carneval

Titel: Jan Fabel 04 - Carneval Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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wählt sie aus. Ein Blick genügt, und schon kann er sie schmecken.«
    »Und das bedeutet?« Scholz hatte den Mund wieder voll von Ragout. »Dass er sie des Geschmacks wegen isst?«
    »Nein … oder nicht nur deshalb. Ich glaube, es erregt ihn sexuell. Aber zusätzlich sind eine Menge weiterer Faktoren im Spiel. Beim militärischen Kannibalismus tötet man einen mächtigen Gegner auf dem Schlachtfeld und isst ihn, um sich etwas von seiner Stärke anzueignen. Beim Ritualkannibalismus wird ein Teil des Opfers gegessen, damit eine Verbindung zu seiner Göttlichkeit oder seinem Geist entsteht. Diese Symbolik ist noch im christlichen Abendmahl, einem Relikt aus dem Heidentum, enthalten. Und, wie erwähnt, beim Bestattungskannibalismus wird ein Teil des Verstorbenen gegessen, damit er durch die Hinterbliebenen weiterlebt.«
    »Oder in den Hinterbliebenen«, sagte Scholz.
    »Ich glaube, der Mörder hat seine sexuelle Perversion verdrängt und glaubt, zu seinen Opfern eine viel intimere Beziehung zu haben, als wenn er nur Sex mit ihnen hätte.«
    »Dadurch, dass er eine Scheibe aus dem Arsch der Opfer frisst, nimmt er ihren Geist in sich auf und wird zu ihrem Seelenbruder?« Scholz’ Miene war ernst, und Fabel musste lachen.
    »Ja, so in etwa. Aber mit irgendetwas muss er angefangen haben. Möglicherweise war unser Mann am Anfang ein schlichter Sittlichkeitsverbrecher, der beispielsweise Vergewaltigungen beging. Im Lauf der Zeit könnte das kannibalische Element hinzugekommen sein. Erinnerst du dich an den Fall Joachim Kroll? In den späten Siebzigern in Duisburg?«
    Scholz nickte.
    »Kroll war ein Vergewaltiger und Mörder und blieb zwei Jahrzehnte lang unentdeckt. Irgendwann beschloss er, das Fleisch seiner Opfer zu probieren. Interessanterweise konzentrierte er sich auf genau die gleichen Körperteile … das Gesäß und die Oberschenkel.«
    »Könnten wir es mit einem Nachahmungstäter zu tun haben?«
    »Nein. Kroll war nicht gerade geeignet, andere zu inspirieren. Sein Intelligenzquotient lag an der Grenze des Schwachsinns, und er machte den Eindruck eines armseligen Verlierers. Er starb im Jahre neunzig oder einundneunzig. Die Ähnlichkeiten sind zufällig. Aber ich glaube, dass auch der Karnevalsmörder klein angefangen haben könnte. Mit Überfällen auf Frauen, besonders mit Beißangriffen.«
    »Ja …« Scholz stocherte nachdenklich mit seiner Gabel im Ragout. »Du könntest recht haben. Eine meiner Beamtinnen, Tansu Bakrac, hat eine Theorie dazu.«
    »Tatsächlich?«
    »Das kann sie dir morgen erklären. Sie hat mehrere frühere Fälle mit einem Fragezeichen versehen. Vor allem einen. Aber ich bin mir nicht so sicher.«
    Es kam zu einer Pause, und die beiden Männer widmeten sich ihrer Mahlzeit.
    »Ich war überrascht über dein Auftauchen, Jan«, sagte Scholz schließlich. »Hatte gehört, dass du den Job hinschmeißt.«
    »Das ist geplant«, gab Fabel zurück. Plötzlich verspürte er den Drang, über die Zukunft zu sprechen. Etwas an Scholz’ offener, ehrlicher Art weckte Vertrauen. Eine nützliche Eigenschaft für einen Polizisten. »Offiziell arbeite ich meine Kündigungsfrist ab. Aber ich weiß wirklich nicht, ob ich das Richtige tue. Alles schien so klar zu sein, doch inzwischen habe ich meine Zweifel.« Er erzählte Scholz von seinem Erlebnis während der Anreise: wie er das Salamibrötchen beim Betrachten der Fotos von Sabine Jordanskis verstümmeltem Körper gegessen und nicht im Entferntesten daran gedacht hatte, dass dies kein normales Verhalten war.
    »Das passiert mir dauernd«, lachte Scholz. »Ich erkläre es damit, dass ich an solche Dinge gewöhnt bin. Das ist der Vorteil professioneller Distanz, behaupte ich. Alle anderen meinen, ich sei ein unsensibler Holzklotz.«
    »Aber genau das macht mir zu schaffen«, erwiderte Fabel. »Ich bin zu sehr an alles gewöhnt. Und zu distanziert.«
    »Das gehört doch zum Beruf«, sagte Scholz. »Wie ist es denn bei einem Arzt oder einer Krankenschwester? In der Medizin soll es darum gehen, Leben zu retten, aber in Wirklichkeit geht es um den Tod. Jeden Tag hat ein Arzt mit Patienten zu tun, die sich von dieser Welt verabschieden. Manche leiden schrecklich. Das ist eben der Beruf von Medizinern. Wenn sie eine emotionale Beziehung zu jedem Patienten entwickeln oder in ihrer Freizeit darüber grübeln, dass ihnen irgendwann das Gleiche zustoßen könnte, dann verlieren sie den Verstand. Aber sie bewahren die Fassung. Das gehört zu ihrem Handwerkszeug. Du

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