Jan Fabel 05 - Walküre
aufzutreten, aber sie wird ohne jedes Mitleid handeln, um sich ihre Wünsche zu erfüllen. Das Entscheidende ist, dass sie keinerlei Einfühlungsvermögen besitzt, denn sie ist einfach unfähig, sich vorzustellen, dass andere Menschen Emotionen oder auch nur ein ähnliches Bewusstsein wie sie selbst besitzen.«
»Ideal für eine Berufsmörderin«, meinte Fabel.
»Eigentlich nicht. Wie du selbst erlebt hast, hat das typische Individuum mit einer voll ausgebildeten dissozialen Persönlichkeitsstörung eine extrem niedrige Gewaltschwelle. Das Gleiche gilt übrigens für den antisozialen Typ. Wenn alles, was sie über die Stasi-Ausbildung behauptet hat, der Wahrheit entspricht -und du musst berücksichtigen, dass Soziopathen einfallsreiche, zwanghafte Lügner sind —, dann haben die Trainer sicher ihre Instabilität erkannt und sie aus dem Programm ausgeschlossen. Ein weiteres Merkmal der Störung ist - und das war Dreschers Pech - die Neigung, anderen die Schuld für das eigene Versagen zuzuschieben. Verbindet man das mit einem Hang zu fixen Ideen, so hat man einen teuflischen Stalker vor sich.
Köpke meint, dass in Margarethes Fall darüber hinaus noch eine zusätzliche Persönlichkeitsstörung vorliegt, eine schizo-affektive Erkrankung. Vielleicht spielt auch der neurologische Schaden, der ihr in der Kindheit zugefügt wurde, eine Rolle. Dadurch wird sie noch konzentrierter und zwanghafter. Ihr Glaube, dass ihre Schwester existiert, und die Art, wie sie ihr gestattet, durch sie selbst zu sprechen und zu handeln, ist nicht psychopathisch, sondern psychotisch. Wahnhaft. Bei Margarethe geht also noch etwas anderes in die Mischung ein; es handelt sich um eine Art verdrehter Soziopathie.«
Fabel schaute durchs Fenster über die Baumkronen hinweg. Der Himmel war schwer und grau. »Glaubst du, dass die anderen sogenannten Walküren ihr ähneln? Dass sie Soziopathinnen sind, meine ich?«
Susanne hob die Schultern. »Wer Menschenleben für Geld auslöscht, zeigt nicht gerade Mitgefühl. Aber Soziopathen sind egomanisch, narzisstisch und äußerst impulsiv. Ich nehme an, dass diese Frauen, die man zu Berufsmörderinnen ausgebildet hatte, einen hohen Grad an Selbstdisziplin besaßen und bereit waren, ihren Willen dem anderer Menschen unterzuordnen. Aber dadurch werden sie nicht weniger gefährlich. Im Gegenteil.«
»Ich möchte nicht, dass du bei der Vernehmung im Raum bist, Susanne«, sagte Fabel. »Du kannst nebenan über die Videoanlage zusehen.«
»Das bringt nichts, Jan. Ich muss sie aus der Nähe beobachten können, und ich muss in der Lage sein, ihr Fragen zu stellen. Du wirst sie diesmal doch bestimmt fesseln lassen?«
»Na schön. Aber wenn sie wieder loslegt, gehst du sofort hinaus. Ich werde zusätzliche Wächter mit hineinnehmen.«
Susannes perfektes Porzellanlächeln ließ einen Hauch von Bosheit erkennen. »Ich weiß nicht, Jan ... du wirst irgendwie mit deiner Furcht vor Frauen fertig werden müssen, damit ich nicht dauernd deine Anstandsdame zu spielen brauche.«
Fabel, Susanne und Anna Wolff setzten sich ins Vernehmungszimmer, bevor Margarethe Paulus hereingeholt wurde. Karin Vestergaard, Werner und andere aus dem Team der Mordkommission würden vom Nachbarraum aus per Video zuschauen.
Als Margarethe von zwei uniformierten Beamten hereingebracht wurde, waren ihre Handgelenke mit Speedcuffs gefesselt. Ihr kräftiges, attraktives Gesicht wirkte so teilnahmslos wie zuvor.
»Setzen Sie sich, Margarethe.« Fabel zeigte auf den am Fußboden befestigten Stuhl. Einer der Beamten öffnete ihre Speedcuffs, allerdings nur, um ihre rechte Hand damit sofort an den Sicherheitsbügel auf dem Tisch zu fesseln. Eine hochgewachsene Frau von etwa vierzig Jahren nahm neben Margarethe Platz. Es handelte sich um Lina Mueller, ihre Pflichtanwältin.
»Das ist Frau Doktor Eckhardt«, sagte Fabel und deutete auf Susanne, »vom Institut für Gerichtsmedizin. Sie ist Kriminalpsychologin und hat mit Dr. Köpke gesprochen, den Sie ja kennen. Frau Doktor Eckhardt wird Ihnen ein paar Fragen stellen. Mit Frau Mueller, die hier Ihre Interessen vertritt, haben Sie sich ja bereits unterhalten.«
»Ich brauche keine Anwältin«, erklärte Margarethe, und wieder war es eine schlichte Tatsachenaussage ohne Groll oder Zorn.
»Wir meinen, dass Sie einen Beistand haben sollten«, sagte Anna. »Das ist Ihr Recht.«
Margarethe erwiderte nichts darauf, und ihr Gesicht zeigte keine Reaktion.
»Wie
Weitere Kostenlose Bücher