Jan Fabel 06 - Tiefenangst
Aufschrift des Etiketts, das an dem Beutel angebracht war, laut vor: »Schwarze oder dunkelgraue Kapuzenjacke. Schwarze oder dunkelgraue Jeans. Dunkelgrünes T-Shirt. Mit Nieten besetztes Lederarmband, rechtes Handgelenk. Uhr mit breitem Lederarmband, linkes Handgelenk. Halskette aus Metalllegierung mit Symbolanhänger …« Fabel schüttelte den Plastikbeutel und neigte ihn zur Seite. Obwohl eine erhebliche Menge öligen Wassers um die Kleidung schwappte, entdeckte er die Halskette. Wie er vermutet hatte, war auch der Anhänger eine Nachbildung des griechischen Buchstabens Gamma. »… dunkelrote, kurze Socken. Chopperstiefel aus schwarzem Leder. Lederbrieftasche mit Personalausweis, fünfundzwanzig Euro in Scheinen und weitere fünfzehn Euro in Münzen. Weiße Boxershorts.«
»Merkwürdig«, sagte Brüggemann. »Ich hätte ihn eher für einen Sliptyp gehalten.«
Fabel antwortete nicht, sondern zog sein Notizbuch hervor und blätterte ein paar Seiten zurück. Als er fand, was er gesucht hatte, beugte er sich über die Leiche und reichte Werner das geöffnete Büchlein. Dieser runzelte beim Lesen die Stirn.
»Nein«, sagte er und gab Fabel das Notizbuch zurück. »Du glaubst doch nicht etwa …« Er nickte zu der Leiche zwischen ihnen hinunter.
»Seine Kleidung entspricht genau der Beschreibung dessen, was der Fahrer des Motorrads getragen haben soll.«
»Die ist sehr verbreitet, Chef.«
»Redet ihr über den Brandstiftungsmord?«, wollte Brüggemann wissen.
»Wir brauchen eine Todeszeit für den Mann«, sagte Fabel. »Ich bin mir sicher, dass er nach dem Überfall im Schanzenviertel gestorben ist.«
»Soll ich mich immer noch mit der Organisierten Kriminalität in Verbindung setzen?«, fragte Werner.
Fabel nickte. »Es könnte trotzdem etwas anderes sein. Aber es gibt noch eine Fragestellung, der ich selbst nachgehen will.«
Diesmal hatte er nicht den geringsten Zweifel. Fabel war erst fünfzig Meter von Meliha Yazars Wohnung entfernt gewesen, als er glaubte, den großen VW Tiguan zu sehen, der hinter einem geparkten Lieferwagen ausscherte und sich in einem Abstand von vier oder fünf Autos in den Verkehr einfädelte. Aber dann hatte er ihn aus den Augen verloren, als er nach Eppendorf zur gerichtsmedizinischen Pathologie am Butenfeld gefahren war. Nachdem er die Leichenhalle verlassen hatte, war der VW jedoch wieder im gleichen Abstand hinter ihm aufgetaucht. Bisweilen schien es so, als müsse der andere Fahrer ihn überhaupt nicht im Blickfeld behalten. Zweimal, als der Geländewagen hinter einer Ecke außer Sicht war, hatte Fabel plötzlich eine andere Richtung eingeschlagen, um den VW dann nach ein paar Blocks wieder hinter sich zu entdecken.
Er fuhr weiterhin auf sein Ziel – den Hafen – zu. Der Verkehr war viel spärlicher geworden, und der VW konnte nicht mehr so leicht Deckung finden. Er war jetzt nur noch zwei Autos hinter ihm. Fabel rief mit seinem Handy im Präsidium an. Anna Wolff, die mittlerweile aus Meliha Yazars Wohnung zurückgekehrt war, meldete sich.
»Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht, Anna. Die gute ist, dass ich auf meine alten Tage noch nicht paranoid werde.«
»Der Verfolger? Bist du sicher?«
»Absolut. Ich bin gerade am Fischmarkt vorbeigekommen. Könntest du die Zentrale bitten, einen Streifenwagen an der Kreuzung Große Elbstraße, Kaistraße bereitzustellen. Dort ist es ruhig genug, um ihn anzuhalten und ein paar Worte mit dem Fahrer zu wechseln.«
»Das erledige ich sofort. Aber ich komme auch.« Sie legte auf, bevor Fabel etwas erwidern konnte. Er fuhr weiter nach Westen und stellte fest, dass der VW wieder verschwunden war. Der Fahrer hatte an der Ampel gehalten und offenbar die Gelegenheit genutzt, etwas mehr Distanz zwischen sich und Fabels Auto zu bringen.
Er war auf der St. Pauli-Hafenstraße, als er den VW drei oder vier Wagen hinter sich erneut entdeckte. Diese Leute waren geschickt. Oder ihnen wurde geholfen. Fabel fragte sich, was während seiner Besichtigung des Pharos an seinem Fahrzeug angebracht worden war.
Anna meldete sich. »Der Streifenwagen ist in Position.«
»Gut. Der Knabe ist mir immer noch auf den Fersen. Ich bin in der Hafenstraße. Könntest du die Schutzpolizisten wissen lassen, dass sie ihn anhalten sollen?«
»Klar. In ein paar Minuten bin ich selbst dort.«
Fabel legte auf und blickte in seinen Rückspiegel. Nun war nur noch ein Auto zwischen ihm und dem großen VW. Er glaubte, die Silhouetten von zwei Männern
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