Jan Fabel 06 - Tiefenangst
durch das getönte Glas erkennen zu können.
»Machen wir die Sache interessant«, flüsterte Fabel vor sich hin. Er erspähte eine schmale Kopfsteinpflastergasse, die von der Hauptstraße zu den Gebäuden am Flussufer und zum Kai führte. Dies war ein Zugang, den normalerweise niemand benutzen würde. Die Gegenfahrbahn war leer, und Fabel bog, ohne zu blinken, nach links ab, stieg auf die Bremse und rollte in eine Parkbucht am Wasserrand. Der Fahrer des Autos hinter ihm drückte wütend auf die Hupe, weil Fabel nicht geblinkt hatte. Auch der VW donnerte an der Gasse vorbei. Entweder meinte der Fahrer, nicht ebenfalls jäh abbiegen zu können, oder er versuchte Fabel davon zu überzeugen, dass er ihm nicht folgte.
Fabel rief Anna an. »Der Tiguan ist gerade an mir vorbeigefahren. Ich habe ihm keine Alternative gelassen. Sag den Schutzpolizisten, dass er zu ihnen unterwegs ist und dass sie ihn stoppen sollen. Ich werde direkt hinter ihm sein. Und wenn er anhält oder umkehrt, gebe ich dir Bescheid.«
Er hatte sich gerade auf seinem Sitz umgedreht, um auf die Hauptstraße zurückzusetzen, als ein Geländewagen auf ihn zuraste. Fabel hatte das Auto kaum zur Kenntnis genommen, als es auch schon an das Heck seines BMW knallte. Er wurde nach vorn geschleudert, um dann schmerzhaft von seinem Automatikgurt aufgefangen zu werden.
»Arschloch!«, brüllte er in den Rückspiegel. Er riss die Handbremse hoch und öffnete seinen Sicherheitsgurt. Was war geschehen? Der Geländewagen schien ein anderes Modell zu sein. Nicht dasselbe Auto, das ihm gefolgt war. Zwei Wagen?
Zumindest wurden die Dinge dadurch in einer Hinsicht erleichtert: Er konnte den Kerl wegen Fahrlässigkeit oder wegen Trunkenheit am Steuer festnehmen. Fabel drehte sich erneut um und sah den Geländewagen nach dem Aufprall zurückrollen. Dabei war das hässliche Geräusch knirschenden Metalls zu hören, und irgendetwas vom Heck seines BMW schepperte auf die Kopfsteine der Gasse. Nun sah er, dass es kein VW, sondern ein Landrover war.
Fabel streckte die Hand nach seinem Türgriff aus, als der Landrover das Heck seines Autos zum zweiten Mal rammte. Diesmal wurde er nicht vom Sitzgurt festgehalten und deshalb mit dem Brustkasten ans Lenkrad geschleudert, sodass ihm die Luft aus der Lunge wich. Keuchend rang er nach Atem. Sein Körper schien nach Sauerstoff zu schreien. Zwischen verzweifelten Atemzügen tastete er nach seinem Halfter mit der SIG-Sauer Automatik. Ein weiterer Aufprall. Die Dienstpistole hüpfte aus seinen bebenden Fingern und fiel in den Fußraum. Er wandte den Kopf: Der Landrover setzte rasch wieder zurück. Fabel fühlte sich durch den Sauerstoffmangel geschwächt. Ihm war speiübel, und sein Brustkasten schmerzte bei jedem Atemzug, aber er mühte sich, die Situation zu verstehen. Er streckte die Hand nach seinem Handy aus, als der Rückspiegel von der riesigen dunklen Masse des Landrovers gefüllt wurde, der das Heck des BMW zum dritten Mal rammte. Aber der Aufprall war ein anderer, diesmal brüllte der Motor des Geländewagens, als der Fahrer den Gashebel durchtrat.
Fabel begriff, was sich abspielte. Der Kerl versuchte, ihn vom Kai in den Fluss zu stoßen.
Instinktiv drückte er die Fußbremse bis zum Anschlag durch. Eine sinnlose Übung, wie er sofort einsah. Deshalb legte er hastig den Rückwärtsgang ein und leistete dem Landrover Widerstand. Es war ein ungleicher Kampf. Seine Reifen quietschten und qualmten, während sie sich ohnmächtig auf den glatten Kopfsteinen drehten.
Er musste aussteigen, bevor der BMW über den Rand geschoben wurde. Aber er befand sich auf der falschen Seite des Autos, auf der Wasserseite. Wild starrte er auf den Kühlergrill des Landrovers, der seinen Rückspiegel – und sein Universum – völlig ausfüllte. Fabel hatte gerade beschlossen, das Risiko eines Sprungs auf sich zu nehmen, als er sich plötzlich gewichtslos fühlte und begriff, dass sein Auto über den Rand gedrängt worden war.
Ein neuer Aufprall, doch diesmal schlug der BMW auf die Wasserfläche auf, und Fabel wurde in dem Metallkäfig seines Autos hin und her geworfen. Alles wurde dunkel, und er dachte einen Moment lang, er habe das Bewusstsein verloren, bis das Innere seines Wagens mit kaltem, öligem, dunklem Wasser volllief und er merkte, dass er auf den Boden der Elbe sank.
30.
Er hatte ihren Namen erstaunlich leicht herausgefunden. Die Daten zu entschlüsseln war kein Problem gewesen. Roman hatte weniger als einen halben Tag
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