Jan Fabel 06 - Tiefenangst
seiner Zeit«, erwiderte Fabel. »Kannst du dich hier um alles Weitere kümmern? Ich möchte zurück ins Präsidium, um mit Fabian Menke über …«
Er wurde vom Klingeln seines Mobiltelefons unterbrochen.
»Hallo Jan. Hier ist Werner. Du wirst es nicht glauben: Wir haben noch eine Wasserleiche. Die Hafenpolizei hat uns gerade mitgeteilt, dass sie eine Leiche an der Einfahrt zum Peutehafen aus dem Fluss gezogen hat. Sie wird zum Butenfeld gebracht.« Werner sprach aus der Pathologie des Instituts für Rechtsmedizin, wohin die sterblichen Überreste aller Personen befördert wurden, die einen gewaltsamen oder verdächtigen Tod erlitten hatten.
»Ich bin gleich da«, sagte Fabel.
29.
Fabel, Nicola Brüggemann und Werner Meyer schauten stumm auf den Mann hinunter, den ein Sektionsgehilfe in die Hauptleichenhalle gerollt hatte. Es sah nach einem Zeichen von Respekt aus: einem Moment des Schweigens. In Wirklichkeit jedoch taten sie nur das, was sie als Polizisten gelernt hatten: Sie nahmen sich einen Moment Zeit, um den Körper zu betrachten, zu prüfen und einzuschätzen. Um den Tod eines Menschen aus einer neuen Perspektive zu beurteilen.
Die Leiche auf der Rollbahre war schmächtig und bleich; die Rippen drangen durch die Haut, und die Oberarme wirkten mager. Trotz der Stoppeln an seinem Kinn glich der Tote eher einem Jungen als einem Mann. Er hatte vier nun blutlose Löcher im Schädel, zwei über dem Haaransatz und zwei darunter, die sich in seine breite Stirn bohrten. Fabel bemerkte eine dunkle Sprenkelung auf der hellen Haut: Schmauchspuren von einem aus der Nähe abgegebenem Schuss. Er war auf den Knien, dachte Fabel. Wahrscheinlich hat er um sein Leben gefleht.
Eine größere, hässlichere Wunde klaffte unter seinem Kiefer, wo eine der Kugeln ausgetreten war. An der linken Brustseite befand sich eine dunkelgrüne Tätowierung, die wie eine kleine umgekehrte Schleife aussah.
»Dies sind offenbar die sterblichen Überreste von Harald Jaburg«, sagte Werner mit einer Miene, die anzudeuten schien, dass er etwas Saures gegessen hatte. »Wir haben seinen Personalausweis in seiner Jeanstasche gefunden. Erwerbslos. Dreiundzwanzig Jahre alt.«
»Ich hätte ihn für jünger gehalten«, sinnierte Fabel und wandte sich an Brüggemann. »Unsere Arbeitsbelastung scheint exponentiell zu wachsen. Ich glaube, ich werde dein Angebot annehmen.« Er ignorierte Werners prüfenden Blick.
»Er hat eine Tätowierung auf der Brust«, sagte Brüggemann. »Direkt über dem Herzen. Eine Art Symbol.«
»Das ist mir nicht entgangen«, erwiderte Fabel. »Es erinnert mich an den kleinen griechischen Buchstaben Gamma.« Er drehte die Unterarme der Leiche um und musterte die Innenseite. »Keine Stichspuren.«
»Auf mich wirkt er nicht wie ein Altphilologe«, sagte Werner.
»Nein …«, stimmte Fabel zu. »Auf mich auch nicht. Haben wir seine Adresse?«
»Billbrook. Wir haben die Schutzpolizei hingeschickt«, erläuterte Werner. »Mein Gott, Jan, wenn das so weitergeht, werden wir einen Fischkutter anheuern müssen, um all die Leichen aus der Elbe zu holen.«
»Das würde niemals genehmigt werden«, sagte Brüggemann. »Ich glaube, wir haben unsere EU-Quote schon überschritten.«
»Und ob«, bekräftigte Fabel. »Werner, ich weiß, du hast viel um die Ohren, und ich habe Anna in Meliha Yazars Wohnung zurückgelassen, aber ich möchte, dass Henk und du auch diesen Fall weiterverfolgt. Lasst seinen Namen durch den Computer laufen und redet mit der Abteilung Organisierte Kriminalität. Dies sieht nach einem Drogenmord aus, aber er scheint mir kein User gewesen zu sein. Erkundige dich, ob sie eine Bande kennen, die das Symbol Gamma als Symbol verwendet.«
»Okay, Jan. Aber er erinnert mich noch weniger an ein Bandenmitglied als an einen Altphilologen.«
»Vielleicht war er ein kleiner Fisch«, sagte Brüggemann. »Jemand, der verdächtigt wurde, ein Betrüger oder Spitzel zu sein. Aber ich finde auch, dass er nicht dem Typ entspricht.«
Der Sektionsgehilfe kam mit einem festen Plastikbeutel zurück. Er ließ ihn kurzerhand auf die Brust des Toten fallen. »Sie wollten seine Kleidung haben. Die ist für die Spurensicherung eingepackt worden. Noch feucht, deshalb sollten sie die Sachen schnell auspacken, bevor sie schimmelig werden.«
»Ein kleiner Sonnenschein«, sagte Werner sarkastisch, nachdem der Sektionsgehilfe wieder verschwunden war. »Wahrscheinlich ist es seine Arbeit, die ihn so fröhlich macht.«
Fabel las die
Weitere Kostenlose Bücher