Jan Fabel 06 - Tiefenangst
schaffen, was hält Ihre schöne neue Welt dann für uns bereit?«, fragte Fabel.
»Bald wird die Zeit kommen – sehr bald –, in der wir ichbewusste, intelligente Maschinen bauen werden, die fähig sind, die Beschleunigung zu beschleunigen. Eine Technik wird existieren, die Sie sich nicht ausmalen können. Nanotechnologie und Femtotechnologie werden es uns gestatten, unvorstellbar leistungsstarke Rechner in mikroskopischem Maßstab zu bauen – Computer, die Molekül um Molekül zusammengesetzt werden. Und die neue Wissenschaft der synthetischen Genomik hat bereits das erste rein künstliche Leben hervorgebracht … Die Rechner der Zukunft könnten so organisch sein wie wir selbst. Das ist unsere einzige Hoffnung: uns von der Umwelt zu lösen und mithilfe der Technik ein höheres Niveau der Existenz und des Bewusstseins zu erreichen. Sie scheinen der Ansicht zu sein, dass ich nicht an die Grundsätze des Pharos-Projekts glaube. Nun, da irren Sie sich. Ich glaube an sie alle, denn sie sind die Zukunft der Menschheit.«
Fabel warf Harmsen einen Blick zu, doch sie hatte die Augen fest auf die Tischplatte gerichtet.
»Aber Sie wollen nicht die Menschheit retten, Herr Wiegand, sondern nur die wenigen Auserwählten. Sie gehören in die lange Reihe von reichen Männern mit einem Messiaskomplex«, sagte Fabel. »Menschen, die so vermögend sind wie Sie, entfernen sich so weit von der Lebensweise aller anderen, dass sie sich völlig von der Realität lösen. Ich kann mir vorstellen, was das alles für den armen Mister Korn bedeutet, der da draußen auf seiner Luxusjacht in internationalen Gewässern festsitzt und an alle möglichen Geräte angeschlossen ist, nur um am Leben zu bleiben. Aber was Sie meinen, ist noch nicht einmal eine Menschheit, geschweige denn eine bessere Menschheit, sondern etwas Geringeres. Ein Abstieg.«
»Sie sind ein Mann mit begrenzter Intelligenz, Herr Fabel. Und mit noch weniger Fantasie. Ich habe kein Interesse daran, dieses Gespräch fortzusetzen.« Er wollte aufstehen, doch Werner legte ihm nachdrücklich die Hand auf die Schulter.
»Sie bleiben hier, Herr Wiegand«, erklärte Fabel.
»Dann sollten Sie präzise Gründe nennen, die Ihr Vorgehen rechtfertigen«, warf Harmsen ein. Fabel spürte, dass sie sich wünschte, lieber wieder Schauspielerinnen mit verpfuschten Schönheitsoperationen zu vertreten.
»Glauben Sie an das Leben nach dem Tode?«, fragte er Wiegand im Plauderton. »Wissen Sie, dass Nikolai Fjodorow schon im neunzehnten Jahrhundert prophezeite, wir würden solche Rechner entwickeln, dass wir fast jeden wieder zum Leben erwecken könnten?«
»Ja, das wusste ich.«
Fabel legte einen grauen USB-Stick auf den Tisch.
»Mir scheint, dass darin ein lebender Mensch steckt. In diesem Stück aus Plastik, Metall und Silikon.« Er legte eine Pause ein. Weder Wiegand noch Harmsen sagten etwas, aber Wiegands kalte, harte kleine Augen starrten den USB-Stick an.
»Die Person hier im Innern war in unserer Welt ein gewichtiger Mann. Buchstäblich. Laut unserem Gerichtsmediziner wog er 180 Kilo. Er hieß Roman Kraxner und war ein zutiefst gestörter Mensch. Wie jemand anders, dem ich begegnet bin: Niels Freese. Aber Romans Hauptstörung bestand darin, ein Genie zu sein. Und seine besondere Begabung war die Computertechnik. Kennen Sie den Namen, Herr Wiegand?«
»Nein.«
»Das ist seltsam, denn ich glaube, dass Sie seine Ermordung angeordnet haben. Vielleicht kannten Sie seinen Namen auch nicht, sondern wussten nur, dass er Meliha Yazars Handy in seinem Besitz hatte. Und wer immer es besaß, musste sterben, oder? Jedenfalls lebte Roman Kraxner eher in der virtuellen Welt als in dieser. Wenn er überlebt hätte, würde ich zugegebenermaßen mit ihm über gewisse Transaktionen und über das Klabautermann-Virus sprechen müssen, das, wie wir annehmen, Herrn Kraxners Schöpfung ist.«
Fabel beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Sie haben recht, Herr Wiegand. Ich kann nicht in der Zeit zurückreisen, um die belastenden Dateien zurückzuholen, die Sie auf gewissen Computern und in Ihrem geheimen Datenspeicher untergebracht hatten. All der Lärm und die Dramatik … die Razzia, meine ich … Ich gebe zu, dass das primitiv ist. Aber Roman war anders. In unserer Welt ein schwerfälliger Koloss, aber dafür konnte er sich anmutig und leise durch Netzwerke und Datensysteme und Firewalls bewegen. Er hat dem Pharos einen Besuch abgestattet, wissen Sie. Sie sind so stolz
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