Jan Fabel 06 - Tiefenangst
auf Ihre Technologie und Ihre Kenntnisse, doch verglichen mit Roman sind Sie ein Stümper. Er hat Ihre Sicherheitsmaßnahmen umgangen und Datei um Datei, ein belastendes Dokument nach dem anderen, kopiert.«
Wiegands Lächeln war nun höhnisch geworden. »Belastend für wen? Wenn jemand im Pharos-Projekt das Gesetz gebrochen hat, dann verurteile ich das uneingeschränkt. Aber ich wünsche Ihnen Glück, eine Menge Glück, wenn Sie glauben, mir persönlich etwas anhängen zu können.«
»Ja, das könnte schwierig werden. Aber es mag der Mühe wert sein. Ich habe genug Material für eine Anklageerhebung gegen Sie. Übrigens, was ich vergessen hatte zu erwähnen: Roman hat Kopien hiervon an alle großen Zeitungen, ans Fernsehen und natürlich an ein Dutzend Websites geschickt. Schon jetzt dürfte sich die Nachricht um die Welt verbreiten. Das Pharos-Projekt ist am Ende.«
»Das bezweifle ich sehr«, widersprach Wiegand. »Sie und ich werden alte Männer sein, bevor Sie genug daraus …«, er zeigte auf den Datenstick, »… herausholen können, um mich auch nur in die Nähe eines Gefängnisses zu bringen.«
»Vielleicht haben Sie recht.« Fabel öffnete erneut den Ordner und legte ein Taschenbuch neben dem Memorystick auf den Tisch. Es war das Exemplar von Friedrich Dürrenmatts Der Richter und sein Henker , das sie neben Meliha Yazars Bett gefunden hatten.
»Haben Sie das je gelesen?«, fragte Fabel.
Wiegand ignorierte ihn.
»Es ist eines meiner Lieblingsbücher«, fuhr er fort. »Philosophie für Polizisten. Die darin aufgeworfene Frage lautet: Wenn man einen Verbrecher nicht wegen einer Tat zur Rechenschaft ziehen kann, die er begangen hat, ist es dann moralisch vertretbar, ihn wegen eines Verbrechens zu bestrafen, das er nicht begangen hat?«
»Ich möchte Sie erneut darum bitten, Herr Fabel«, schaltete sich Harmsen ein, »zur Sache zu kommen …«
»Gestern hatte ich mich tatsächlich geirrt«, gestand Fabel. »Ich war absolut sicher gewesen zu wissen, was Meliha Yazar herausgefunden hatte. Aber ich befand mich völlig im Irrtum. Na ja, nicht völlig … Sie hatte tatsächlich ermittelt, dass Föttinger der Network-Killer war. Schon das hätte vernichtend für das Pharos-Projekt sein können, aber es war immer noch nicht das große Geheimnis, das Meliha entdeckt hatte. Habe ich recht, Herr Wiegand?«
Der Milliardär saß mit verschränkten Armen und starrer Miene da.
»Sie wurde nicht wegen Föttinger ermordet, oder wenigstens war das nicht der Hauptgrund. Sie haben zwar befohlen, Daniel Föttinger zu töten, weil seine Taten früher oder später auf das Pharos-Projekt zurückgefallen wären. Auch die Ermordungen von Meliha Yazar und Berthold Müller-Voigt haben Sie angeordnet, weil Sie dachten, die beiden könnten zu viel über Föttinger wissen. Aber das war nicht das Hauptgeheimnis, zu dessen Wahrung sie in erster Linie sterben mussten. Es handelte sich um ein viel größeres Geheimnis, das auf keinen Fall ans Tageslicht kommen durfte. Sie waren so besessen davon, dass Sie mich abhörten und zu belasten versuchten, damit ich die Ermittlung nicht weiterführen konnte. Und als das nicht klappte, haben Sie dafür gesorgt, dass ich ein Bad in der Elbe nehmen musste. Wahrscheinlich war Ihnen klar, dass Müller-Voigt nichts Spezifisches wusste, aber er konnte etwas an mich weitergegeben haben, das vielleicht rein zufällig zur Wahrheit geführt hätte.«
»Was für ein Geheimnis?«, fragte Harmsen. Wiegand, das Gesicht immer noch steinern, blieb stumm.
»All der Blödsinn, den Sie absondern, hat mich darüber nachdenken lassen, ob es schon heute möglich ist, dass jemand allein in Form von Daten existiert … nicht physisch, sondern kybernetisch. Ich meine nicht, dass diese Person ein reales Bewusstsein besitzt oder ein reales Leben führt, sondern dass sie für uns zu existieren scheint, obwohl sie in Wirklichkeit überhaupt nicht existiert.« Fabel nahm den Memorystick und drehte ihn sinnend zwischen den Fingern hin und her.
»Das Komische an Sekten ist, dass sie alle – egal, wie sehr sich ihre zentralen Vorstellungen unterscheiden und in welchem Teil der Welt sie aktiv sind – bestimmte Gemeinsamkeiten haben. Und ganz obenan steht immer ein charismatischer Führer. Eine inspirierende Repräsentationsfigur. Und nichts eignet sich besser für die schrägen Ideen des Pharos-Projekts als Dominik Korn. Schließlich hat er den halben Weg zur Konsolidierung bereits zurückgelegt, da er völlig von
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