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Jan Fabel 06 - Tiefenangst

Titel: Jan Fabel 06 - Tiefenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Hamburg und zu Romans Wohnung geschickt. Der Techniker war zuerst misstrauisch gewesen, als er die Bescheidenheit und die Verwahrlosung der Unterkunft sah, doch diese Haltung verflüchtigte sich bald, nachdem er den Wert der Computeranlage auf dem Schreibtisch überschlagen hatte. Fast schien es, als habe er Verständnis für Roman, als sei er schon ähnlichen Menschen wie ihm begegnet.
    Roman erinnerte sich an die herrliche Behaglichkeit, die er empfunden hatte, als er sich zum ersten Mal auf dem Sessel niederließ. Er schien jeden Quadratzentimeter seines Körpers zu stützen, sodass sich Roman fast gewichtslos vorkam. Nun, während er sich auf den Sessel schob, verspürte er immer noch Erleichterung und Behagen, doch nicht mehr in so hohem Maße wie früher. Er kannte den Grund. Der Sessel war seinem Körper perfekt angepasst worden, als er ihn bestellt hatte. Nun, drei Monate und sieben Kilo später, war die Anpassung nicht mehr perfekt.
    Roman atmete so tief durch, wie es sein Obesitas-Hypoventilationssyndrom, das ihn zwang, jede Nacht mit einer Sauerstoffmaske zu schlafen, zuließ, und schaltete seine vier Flachbildschirme an, die zusammen ein konstantes Bild erzeugten, ein einziges Fenster.
    Er liebte diesen Moment des Untertauchens, in dem er sich von der Masse seines Körpers, von der Masse der Welt lösen konnte. Wie ein gestrandeter Wal, der plötzlich wieder ins Meer und in seine natürliche Umgebung der Anmut hinausgeschwemmt wird, verlor Roman sein Gewicht und seine Gestalt. Hier zählte nur sein Geist, nichts anderes. Hier verständigte er sich mit anderen gestaltlosen Wesen. Hier konnte er jeder, alles sein. Hier gab es keine lärmenden albanischen Nachbarn, keine Unterleibskrämpfe, keinen Ekel vor dem eigenen Spiegelbild.
    Roman würde die nächsten sieben Stunden, bis spät in die Nacht hinein, in der Cybernet-Welt verbringen. Er würde chatten, spielen, jemand anders sein. Den größten Teil der Zeit würde er Virtual Dimension widmen. Er war seit fast einem Jahr dort Mitglied. In Virtual Dimension war er schlank, attraktiv, erfolgreich. Er arbeitete als Privatdetektiv, hatte etliche Geliebte, besaß eine Dachwohnung, die über die Lagunen von New Venice hinwegblickte, und fuhr ein 1962er Ferrari 250 GT Cabriolet. Er hatte Dutzende von Freunden und besuchte E-Drogen-Partys.
    In Virtual Dimension hatte er kein Gewichtsproblem, keine schäbige Wilhelmsburger Wohnung, keine albanischen Nachbarn. Er sehnte sich nach jener Welt. Aber zuvor musste Roman noch ein bisschen arbeiten.
    Zwar konnte er das Leben in Wilhelmsburg nicht ausstehen, aber er hätte jederzeit die Möglichkeit gehabt fortzuziehen. Das Einzige, was ihn davon abhielt, in eine teure Wohnung zu wechseln, war die Tatsache, dass man ihn fragen würde, woher das dafür erforderliche Geld stammte. Ein mächtiger, fünf Kilo schwerer Elektromagnet war ständig eingestöpselt und konnte mit einem Schnippen seines Daumens eingeschaltet werden, um die Daten auf seinen Festplatten zu löschen. Das Beweismaterial.
    Falls sie kamen.
    Bald würde er Virtual Dimension spielen, doch zunächst musste er sich um die Geschäfte kümmern. Seine viele tausend Euro kostenden Geräte mussten dauernd aktualisiert, gewartet und ausgebaut werden. Und Roman bezahlte alles, indem er hohe Summen aus der ganzen Welt auf seine eigenen internationalen Konten leitete.
    Doch Roman war kein schlichter Betrüger, sondern ein Künstler. Niemand suchte bisher nach ihm, weil niemand wusste, dass das Geld fehlte. Jede Behörde, Organisation und Firma, die er übervorteilte, wurde anschließend sofort von einem Computervirus heimgesucht, das Daten löschte, Unterlagen vernichtete und sämtliche Spuren seines Besuchs beseitigte. Sämtliche Viren unterschieden sich voneinander. Alle waren individuelle, einzigartige Schöpfungen. Kunstwerke.
    Und das herrlichste Virus – der Trojaner aller Trojaner – war Klabautermann. Denn der fettleibige, einsiedlerische Roman Kraxner – achtundzwanzig, hundertachtzig Kilo, ohne Universitätsabschluss, doch mit einem IQ von 162 und einem Abiturdurchschnitt von 1,0, zu Hause in einer verwahrlosten Dreizimmerwohnung in Wilhelmsburg – war einer der erfolgreichsten Internet-Hacker und -Schwindler der Welt.
    Und nun wurde es Zeit für ihn, sich an die Arbeit zu machen.

14.
     
    Während sich Müller-Voigt in der Küche zu schaffen machte, um den Kaffee zuzubereiten, hob Fabel die kleine Skulptur in der Mitte des Couchtisches hoch. Es

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