Jan Fabel 06 - Tiefenangst
Laptop geraten und hat all meine E-Mails gelöscht und sich natürlich gleichzeitig über all meine Kontaktadressen ausgebreitet. Wie gesagt, wegen des Klabautermann-Virus habe ich die E-Mail nicht mehr.«
»Warum sind Sie sich sicher, dass die Nachricht nicht von ihr stammt?«
»Ich weiß es einfach. So etwas merkt man. Jeder hat einen … gewissen Stil beim Verfassen von E-Mails.«
»Und zwar?«
»Es war grammatisch zu korrekt. Meliha ist Türkin. Keine Deutschtürkin, sondern türkische Staatsbürgerin. Ihr Deutsch war ausgezeichnet, aber sie machte verständlicherweise Fehler. Diese E-Mail war … zu perfekt. Und außerdem haben wir uns keine E-Mails geschrieben.«
»Mmm …« Fabel erinnerte sich an das, was Kroeger über die Möglichkeiten der Identifizierung von Betrügern im Internet gesagt hatte. Vielleicht hatte Müller-Voigt tatsächlich eine gefälschte E-Mail erhalten. »Ich weiß nicht recht, was ich tun kann, Herr Müller-Voigt. Es klingt mir nicht nach einem Mord. Und um ehrlich zu sein, auch nicht nach einem Vermisstenfall. Aber ich kann mich an die Ortspolizei wenden und Nachforschungen anstellen lassen.«
Fabel stand auf, und Müller-Voigt trat vor, als wolle er ihm den Weg versperren.
»Ich weiß nicht, wie Sie mich einschätzen, aber Sie werden mich kaum für hysterisch halten. Wenn überhaupt, bin ich berühmt – oder berüchtigt – dafür, das Gegenteil zu sein. Und ich bin absolut überzeugt davon, dass eine Frau, zu der ich eine enge Beziehung hatte, entführt oder ermordet worden ist. Leider kann ich Ihnen keine objektiven Beweise dafür liefern. Ich kann nicht einmal nachweisen, dass Meliha überhaupt existiert hat.« Müller-Voigt trat zurück und deutete auf das Sofa. »Bitte, Herr Fabel, ich brauche Ihre Hilfe.«
»Sie müssen doch wissen, wo sie wohnt«, sagte Fabel, ohne sich wieder zu setzen.
»Ich war dort vorher nie. Zwar habe ich ihre Adresse, aber als ich sie besuchen wollte, war die Wohnung leer. Ich meine nicht, dass Meliha nicht zu Hause war, sondern dass die Wohnung nicht benutzt wurde. Ich habe eine Nachbarin nach ihr gefragt, doch die reagierte misstrauisch. Deshalb bin ich weggegangen, bevor sie die Polizei rief. Aber sie sagte, dass die Wohnung seit mehr als einem Monat leer stehe.«
»Meliha ist also Ausländerin?«
»Türkin, ja.«
»Und ihr Aufenthalt in Deutschland ist legal?«
»Soviel ich weiß, ja.«
»Dann gibt es einen Beleg über ihre Einreise. Wie lautet ihr voller Name?«, fragte Fabel und zog sein Notizbuch und seinen Kugelschreiber aus der Brusttasche.
»Meliha Yazar. Sie kommt aus einer Stadt nicht weit von Istanbul. Ich glaube, Silivri.«
Fabel schrieb die Angaben nieder. »Könnte sie einen Grund dafür gehabt haben, Ihnen eine falsche Wohnung zu nennen?«
»Nicht, dass ich wüsste. Es mag verrückt klingen, aber ich glaube nicht, dass sie mich belogen hat. Sie muss in dem Apartment gewohnt haben. Übrigens habe ich Meliha auf einer Umweltkonferenz kennengelernt. Im Congress Centrum.«
»Sie ist im Umweltschutz aktiv?«
Müller-Voigt nickte. »Ja. Das hat sie jedenfalls behauptet. Ihren Angaben zufolge hat sie in Istanbul Geowissenschaften studiert und als Forscherin für eine Umweltschutzagentur gearbeitet, aber sie hat immer sehr ausweichend reagiert, wenn ich mich nach dem Namen erkundigte. Zuerst hatte ich den Verdacht, dass sie eine Art Enthüllungsjournalistin war, und deshalb war ich ihr gegenüber am Anfang ziemlich zurückhaltend. Aber inzwischen bin ich sicher, dass sie sich mit Dingen beschäftigt hat, die sie in Gefahr bringen konnten.«
»Was für Dinge?«
Müller-Voigt betrachtete sein halb leeres Whiskyglas und stellte es auf den Tisch. »Ich werde Kaffee kochen«, erklärte er. »Es ist eine lange Geschichte …«
13.
Roman Kraxner stand hinter seiner Wohnungstür. Den Kopf hatte er ans Holz gepresst, sein Ohr war geneigt, und seine mit Schweiß befleckte Stirn furchte sich vor Konzentration. Er versuchte, leise und flach zu atmen, um so viel wie möglich von den Ereignissen da unten zu hören. Das fiel ihm schwer, denn Romans Dickleibigkeit ließ jeden Atemzug zu einem langen Schnauben durch vom Fett eingeengte Luftwege werden.
Eine tiefe Männerstimme hallte ein Stockwerk unter ihm durchs Treppenhaus. Die Stimme war nicht laut genug, um Roman mehr als einzelne Worte hören zu lassen, doch sie klang ruhig, beherrscht, stark. Energisch.
Eine andere Stimme ließ Roman ein wenig von der Tür
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