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Jan Fabel 06 - Tiefenangst

Titel: Jan Fabel 06 - Tiefenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Leidenschaft in ihm entfachte, war vollendete Schönheit. Vollkommene Symmetrie, vollkommene Haut, eine vollkommene Figur. Aber auch dann hielt sich seine Erregung in Grenzen. Er fragte sich oft, ob es die Unerreichbarkeit dieser Frauen war, die ihn anzog: das Wissen, dass solche Wünsche unerfüllbar waren und nie zu einem wirklichen physischen Kontakt führen konnten.
    Roman versank tiefer und tiefer in einer Welt der Ichbezogenheit. Er verließ sein Zimmer nur noch selten und verbrachte den größten Teil seiner Zeit damit zu lesen, Musik zu hören und vor allem Tagträumen nachzuhängen. Tagträume spielten eine wichtige Rolle in seinem Leben. Fantasien, in denen ein schlankeres, glücklicheres, besser aussehendes Alter Ego von Roman beliebter und reicher und körperlich attraktiver war. Allerdings war er keineswegs unzufrieden mit seinem Leben, denn der Rückzug in eine bessere, von ihm selbst konstruierte Welt war genau das, was er sich wünschte.
    Dann änderte sich sein Leben eines Tages für immer. Seine Eltern machten sich Sorgen um ihr einziges Kind. Sie waren beunruhigt über sein steigendes Gewicht und über die Vergeudung seiner intellektuellen Fähigkeiten. Später fand er heraus, dass es die Idee seiner Mutter gewesen war, ihm zu seinem vierzehnten Geburtstag einen Computer zu kaufen. Plötzlich eröffnete sich ihm eine Welt neuer Möglichkeiten. Seine sorgfältig errichtete Fantasiewelt hatte nun ein Gegenstück außerhalb seines eigenen Geistes.
    Seine Eltern waren natürlich erschüttert über seinen Entschluss, nicht zu studieren, aber in gewisser Weise empfanden sie dies auch als Erleichterung. Sie hatten sich nie vorstellen können, dass sich ihr übergewichtiger, krankhaft schüchterner, einsiedlerischer Sohn in eine Universitätsumgebung einfügen würde. Und bald wurde deutlich, dass er ein marktfähiges Talent für das Entwerfen von Computerspielen hatte. Er wurde von einer Software-Firma eingestellt, die stärker an den Spielen interessiert zu sein schien, die Roman in seinem Schlafzimmer ersonnen hatte, als an offiziellen Abschlüssen.
    Es hatte nicht lange gedauert. Romans Unfähigkeit, mit anderen umzugehen, hatte zur Folge, dass die Software-Firma ihm trotz seiner offensichtlichen Begabung kündigte. Eine andere, ähnliche Stelle verlor er ebenfalls bald. Dann bekam er eine weniger gut bezahlte Arbeit. Schließlich folgte der Job in dem Computerladen, wo er Macs und PCs an Trottel verkaufte, die ständig fragten: »Welchen Arbeitsspeicher hat er denn?«, ohne die geringste Ahnung zu haben, was die Frage – oder die Antwort – wirklich bedeutete.
    Roman, der weiterhin zu Hause bei seinen Eltern hockte, war der erschöpften Trauer in ihren Augen nicht gewachsen gewesen. Doch sie hatten ihn gut behandelt, und wann immer er Bargeld für ein neues Computerteil benötigte, trieben sie es irgendwie auf. Dann, als ein Nachmittag während seines stundenlangen müßigen Surfens zum Abend und zur Nacht geworden war, hatte er sich Zugang zum gesicherten Intranet eines Unternehmens verschafft. Es war problemlos gewesen, und er hatte keine speziellen Absichten gehabt, doch dann stellte er fest, dass er Online-Zahlungen an Lieferanten leisten konnte. Also tat er es. Es war ein geringer Betrag und juristisch gesehen kein Betrug, da Roman nicht persönlich von der Überweisung profitierte, aber er hatte es getan, weil er es konnte. Am folgenden Tag loggte er sich dort wieder ein und entdeckte, dass die Sicherheitseinstellungen unverändert waren. Also hatte er das Geld wieder dorthin transferiert, wohin es gehörte. Denn er sah ein, dass, wenn die Diskrepanz auffiel, seine IP-Adresse ausfindig gemacht werden konnte. Bevor er etwas Ähnliches wiederholte, würde er seine Anwesenheit tarnen müssen.
    Roman brauchte sechs Monate, um ein ausgeklügeltes System von Bot-Herdern, Shell-Accounts, Proxy-Servern und Bouncern aufzubauen, das seine Identität verbarg. Der erste Diebstahl war stattlich: über dreißigtausend Dollar, die er auf das Konto einer Umweltschutzorganisation überwies. Immer noch kein Vorteil für ihn selbst. Er war weiterhin in dem Computerladen beschäftigt und musste seine wirkliche Arbeit abends und nachts verrichten. Es dauerte drei Monate, bis er sich ein raffiniertes Netz von Bank- und Kreditkartenkonten rund um die Welt geschaffen hatte, in das er seine gestohlenen Gelder leiten konnte. Er kontrollierte die interne Kommunikation über das Firmenkonto: Das Unternehmen brauchte

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