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Jan Fabel 06 - Tiefenangst

Titel: Jan Fabel 06 - Tiefenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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einen Monat, um den Diebstahl aufzudecken, und noch einen Monat, um zu ermitteln, dass er online begangen worden war, dann erst wurden die Sicherheitsmaßnahmen verschärft.
    Damals begriff Roman, welchen Lebensweg er einschlagen musste. Natürlich bestand das Risiko, entlarvt und anschließend verhaftet, verurteilt und eingesperrt zu werden. Aber da sein umfassender Intellekt bereits durch die schwerfällige Masse seines Körpers eingeengt war, betrachtete der einsiedlerische Roman es als geringe Bedrohung, sich mit einer Zelle begnügen zu müssen. Und falls man ihn ins Hamburger Gefängnis Billwerder schickte, wo man Computerschulungs-Programme durchführte, würde er sicher einen Rechner benutzen können. Sogar wenn man ihn erwischte, würde man nie in der Lage sein, sämtliche Beträge aufzuspüren, die er sich angeeignet hatte. Er würde das Gefängnis als reicher Mann verlassen. Das Risiko lohnte sich: wegen der Einnahmen und wegen der Spannung.
    Romans Eltern waren überrascht gewesen, als er verkündete, er arbeite freiberuflich für eine Firma, die Virtual-Reality-Spiele herstellte. Er zeigte ihnen die Website des Unternehmens und den Vertrag, den er von ihm erhalten hatte. Die Website und der Vertrag stammten natürlich von Roman selbst. Aber sie überzeugten seine Eltern, dass all die neuen Geräte, die nun eintrafen, von seinem Arbeitgeber geliefert wurden. Sie waren hocherfreut, als Roman sie schließlich wissen ließ, dass er nun genug Geld für eine kleine Wohnung habe. Jedoch sei es am besten, wenn er sie in ihrem Namen mietete. Damit sie sich keine Sorgen machten, gab er ihnen eine Sicherheit von 8000 Euro.
    Seitdem hatte Roman ein persönliches Vermögen von ungefähr vier Millionen Euro angesammelt, das über die Welt verteilt war. Er wusste, dass er nie auch nur einen Bruchteil dieser Summe ausgeben würde, denn er konnte seinen Reichtum nur in kleinen Beträgen flüssig machen. Zudem würde er wegen der durch seine Fettleibigkeit verursachten Gesundheitsprobleme Glück haben, wenn er seinen dreißigsten Geburtstag erlebte. Aber da er einen Dauerauftrag eingerichtet hatte, würde, wenn er starb und am Monatsende nicht den zutreffenden Stornierungs-Code eingeben konnte, eine Million Euro auf dem Konto seiner Eltern erscheinen. Unter seine anderen Papiere hatte er ein Schreiben gelegt, in dem er erklärte, dass ihm gewaltige Tantiemen für eines der von ihm entwickelten Spiele zustünden und dass sie im Falle seines Todes seinen Eltern überwiesen werden würden.
    Roman saß auf seinem speziell angefertigten Computersessel und schaute geistesabwesend aus dem Fenster. Heute hatte er aus irgendeinem Grund die Jalousien geöffnet. Der Himmel hing wie ein grauer Vorhang über Wilhelmsburg, mit einem bleichen, vom Horizont gebildeten Saum, der von den eckigen Umrissen der anderen Wohnblocks durchschnitten wurde. Für Roman war dieses Bild nicht realer als die andere Welt, die er durch die Fenster seiner Computerschirme betrachtete. Er schaute sich das Bild einen Moment lang an, bevor er in seine natürliche Umgebung eintauchte.
    Eine seiner Lieblingsbeschäftigungen war es, in das Leben von Fremden einzudringen. Seiner Meinung nach richteten solche Übergriffe keinen Schaden an. Niemand wusste, dass er dort gewesen war, und es kam zu keinem Gefühl des Missbrauchs, während er die Schichten ihrer Identität vorsichtig freilegte, ihre Vergangenheit untersuchte, ihre Angehörigen, ihre Freunde und Hobbys kennenlernte. Dies gestattete ihm, für rund eine Stunde ein anderes Leben zu führen. Indirekt an der Gesellschaft teilzuhaben, von der er sich sonst immer ausgeschlossen fühlte. Roman suchte sich aufs Geratewohl jemanden aus Facebook oder MySpace oder einer der anderen zahllosen Social Networking Sites aus, und verfolgte dessen cyber-radiative Signatur. Der Begriff war eine seiner eigenen Erfindungen: »Cyber-radiative Signatur« beschrieb für ihn am besten die Präsenz – den Grad der Präsenz –, die Individuen im Cyberspace hatten.
    Roman war der Gedanke spät in einer schlaflosen Nacht gekommen. Seine Fettleibigkeit hatte zu einer Reihe von Krankheiten geführt, die ihn jede Nacht im Schlaf umzubringen drohten. Er schlief mit einer vor seine Nase geschnallten Sauerstoffmaske, um einen möglichen Atemstillstand zu verhindern und das Blutsauerstoffniveau zu halten, das durch sein Obesitas-Hypoventilationssyndrom so gefährlich gesenkt wurde. Es war eine Ironie des Schicksals, dass jemand, der

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