Jan Fabel 06 - Tiefenangst
als wir denken. Und meiner Meinung nach hat Herr Fabel sich nicht kompromittiert, sondern jemand anders scheut keine Mühe, ihn von den Ermittlungen fernzuhalten.«
Fabel sah Menke an. Es überraschte ihn, dass der Geheimdienstmann sich für ihn einsetzte.
»Richtig«, bekräftigte Werner. »Das ist alles Blödsinn: die Sache mit der SMS und die Frau mit der Identität eines der Opfer. Reine Manipulation, um Jan loszuwerden. Aber wenn Sie trotzdem meinen, er sei in die Sache verwickelt, können Sie mich ebenfalls suspendieren.«
Fabel warf Werner einen warnenden Blick zu. Van Heiden, der Werner nun finster anschaute, war möglicherweise kleinlich genug, um auf den Vorschlag einzugehen.
»Du leitest die Ermittlung, Werner«, sagte Fabel deshalb. »Der Kriminaldirektor hat recht. Ich bin zu dicht an allem dran.« Er wandte sich an van Heiden. »Aber ich möchte trotzdem den neuen Tatort sehen.«
Fabel saß hinten in dem Mercedes, der ihn, van Heiden und Menke ins Alte Land brachte. Werner folgte ihnen. Fabel beobachtete, wie der mächtige Himmel über der Billardtisch-Landschaft dahinglitt. Er kam sich immer noch wie ein Verdächtiger vor und ärgerte sich über die Anwesenheit des Geheimdienstmannes neben ihm.
»Was hat Müller-Voigt Ihnen über die angeblich verschollene Frau mitgeteilt?«, fragte Menke.
Fabel schwieg lange genug, um seinen Groll darüber, dass er von Menke vernommen wurde, deutlich zu machen.
»Wenn Ihnen die Frage nichts ausmacht«, sagte Menke in die Stille hinein.
Fabel seufzte. »Sie ist nicht nur angeblich verschollen, sondern auch eine angebliche Frau. Müller-Voigt meinte, er könne keine Spur ihrer Existenz mehr entdecken. Er bat mich, Nachforschungen anzustellen, weil er fürchtete, dass man ihn für übergeschnappt halten würde, wenn er den Dienstweg einschaltete.«
»Ihnen ist doch klar«, meinte Menke, »dass das alles zusammenpasst? Ihre Begegnung mit einer Frau, die Ihnen den Personalausweis einer Toten zeigt, und Ihre Probleme mit dem Verschwinden elektronischer Nachrichten.«
Van Heiden drehte seine breiten Schultern auf dem Vordersitz herum, um Menke anschauen zu können. »Wenn Sie Informationen haben, die wir kennen sollten, Herr Menke, dann schlage ich dringend vor, dass Sie uns nichts vorenthalten.«
Menke zuckte die Achseln. »Ich habe nur eine Bemerkung gemacht, mehr nicht.«
Holger Brauner und sein Team waren schon seit einiger Zeit am Tatort, und als Fabel, Menke, van Heiden und Werner das Haus betraten, sprach Anna Wolff gerade im Wohnzimmer mit einem Schutzpolizisten. Sie kam auf die Männer zu und wandte sich direkt an Fabel, wobei sie van Heiden demonstrativ übersah.
»Müller-Voigt ist da drüben …« Sie deutete auf den Sitzbereich, wo Fabel zwei Tage zuvor mit dem Politiker geredet hatte. Auf dem Boden neben dem Couchtisch waren Bücher und Zeitschriften verstreut. Müller-Voigts Füße waren gerade noch sichtbar, was bedeutete, dass er zwischen Sofa und Couchtisch gestürzt sein musste. Am Leder des Sofas war ein Halbkreis aus Blutspritzern zu erkennen. »Möchtest du ihn sehen?«
Fabel nickte, und Anna reichte ihm blaue Stretch-Überschuhe und ein Paar Latexhandschuhe. Der Kriminaldirektor kochte, und Fabel sah Anna warnend an. Daraufhin hielt sie auch van Heiden die Forensik-Utensilien hin.
Anna war eine sehr fähige und vielversprechende Beamtin, doch ihr Problem im Umgang mit Vorgesetzten bedeutete, dass sie nie einen viel höheren Dienstgrad als ihren jetzigen erreichen würde. Fabel bedauerte das, aber im tiefsten Innern ermutigten ihn ihre kleinen Demonstrationen, weil sie zeigten, dass sie sich ihren rebellischen Geist trotz allem bewahrt hatte.
»Anzeichen eines Kampfes?«, fragte Fabel, während sie sich der Leiche näherten.
»Minimal«, erwiderte Anna. »Er scheint den Angreifer gekannt zu haben. Nichts deutet auf ein gewaltsames Eindringen hin, und das hier …«, sie deutete auf die verstreuten Bücher und Zeitschriften, »… könnte einfach auf seinen Sturz zurückzuführen sein oder auf einen höchstens sehr kurzen Kampf.«
Fabel begrüßte Holger Brauner mit einem Nicken. »Kann ich ihn mir ansehen?«
»Solange du die Spuren nicht verfälschst«, sagte Brauner mit einem Grinsen.
Fabel schaute auf die Leiche hinunter, und Müller-Voigt erwiderte seinen Blick unverwandt und mit überraschtem Gesichtsausdruck. Eigentlich war es kein Gesichtsausdruck, wie Fabel wusste, sondern nur der schlaffe Blick nachlassender Rigor
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