Jan Tabak geht aufs Ganze
Scherben und Marmelade vom Fußboden und klaubte aus dem Trümmerberg im Schrank die Teller heraus, die den Sturz heil überstanden hatten. Was zerbrochen war, flog in den Mülleimer.
Oma Jenny blies den Atem hörbar durch die Nase und sagte nichts. Sie ließ Dampf ab. Tina kannte auch das noch. Entgegen aller Erwartung verhinderte das nicht eine drohende Explosion, sondern löste sie aus. Bevor Tina irgend etwas unternehmen konnte, brach es schon bitter und giftig aus Jennys Mund.
„So, ausruhen soll ich mich“, zischte sie böse, „mich nicht abquälen, mir schöne Stunden machen! Das hast du dir ja fein ausgedacht! Meinst du denn, ein alter Mensch will den ganzen Tag im Lehnstuhl sitzen und spüren, daß er zu nichts mehr nütze ist? So alt bin ich noch nicht, daß ich die Hände in den Schoß legen will. Ich kann noch arbeiten und werde dir vieles abnehmen, daß du es nur weißt!“
Tina erschrak. Sie wußte genau, was dieser Ausbruch bedeutete: der Machtkampf hatte begonnen. Der General hatte das Feuer eröffnet und gleich seine schwersten Geschütze abgeschossen. Jetzt hieß es taktisch vorgehen, sonst war ihre Festung bald eingenommen und sie in den eigenen Mauern eine Gefangene auf Lebenszeit.
„Meine liebe Oma Jenny“, sagte sie, „setz dich hin, wir müssen uns mal in aller Ruhe unterhalten. Glaub mir, ich meine es gut mit dir, wenn ich nicht will, daß du dich abrackerst. Du sollst dadurch doch nicht ausgeschlossen werden! Im Gegenteil, ich möchte, daß du Zeit hast für andere Beschäftigungen! Du kannst die Zeitung lesen und Bücher und Patiencen legen, das tust du doch so gern. Und dabei kannst du dich immer mit mir unterhalten. Dann habe ich auch meine Abwechslung. Aber die Arbeit, die überlaß nur mir. Dann geht alles seinen gewohnten Gang und alle sind zufrieden.“
„Ja, alle“, belferte Jenny, „nur ich nicht! Aus Lesen habe ich mir nie etwas gemacht, das weißt du genau, und wenn du mich hier im Hause nicht mitarbeiten läßt, bin ich spätestens in einem halben Jahr unter der Erde.“ Und mit Nachdruck fügte sie hinzu: „Wohin du mich haben willst!“
„Wie kannst du das sagen!“ verteidigte sich Tina. „Hätte ich dich dann wohl aufgenommen? Ich habe auch nichts dagegen, wenn du ein wenig mithilfst. Nur sollst du von Anfang an wissen, daß...“
„Daß du der Herr im Haus bist und das Sagen hast“, vollendete Jenny, „ich weiß Bescheid.“ Sie zog den Kopf zwischen ihre mageren Schultern und blickte verbissen auf die blauen Fußbodenplatten. „Ja“, bestätigte Tina, „du hast recht, das wollte ich sagen. Da wir das nun ein für allemal geklärt haben, steht einer erfreulichen Zusammenarbeit nichts mehr im Wege.“
Als das Gefecht dieses Stadium erreicht hatte, wurde es von den Kindern und Lady unterbrochen, die gemeinsam die Treppe herunterpolterten und durch die Tür brachen. Alle drei hatten strubbelige Haare und die Kinder außerdem noch glühendrote Gesichter. Tina, froh über die unerwartete Kampfpause, schickte sie sofort ins Badezimmer.
„Wer einen Hund angefaßt hat, muß sich die Hände waschen“, sagte sie. „Macht fix, Oma Jenny möchte endlich ihren Tee trinken.“ Tim und Nicole verschwanden. Der Hund blieb. Er hatte nicht das Bedürfnis, sich die Pfoten zu waschen, obwohl er Menschen angefaßt hatte. Über seine tief herunterhängenden geröteten Augenlider warf er einen mehr gleichgültigen als kritischen Blick auf die Neue in der Runde, gähnte einmal so laut wie ein Nebelhorn und nahm dann seinen Platz unter dem Tisch ein.
Entsetzt schoß Oma Jenny in die Höhe, als das Tier seine stattliche rechte Pranke auf ihren Fuß legte.
„Tina“, rief sie, „wie kannst du es zulassen, daß dieser Riesenköter in der Küche liegt! Er hat Läuse und stinkt!“
Jan, der inzwischen ebenfalls in die Küche gekommen und aus den Holschen geschlüpft war, setzte sich an den Tisch und stellte soeben seine Füße auf Ladys Rücken.
„Lady stinkt?“ sagte er erstaunt. „Ich rieche nichts!“
„Alle Hunde stinken!“ rief Jenny.
Jan beugte sich unter den Tisch.
„Stinkst du, Lady?“ fragte er und schnupperte an ihrem Fell. Lady zwinkerte zweimal kurz und einmal lang mit den Augen und gab keine Antwort. Sicher war sie beleidigt. Jan richtete sich wieder auf. „Sie hat gestern erst im Torfkanal gebadet“, sagte er, „wie soll sie da stinken. Setz dich nur wieder hin und stell deine Füße auf ihren Pelz. Du mußt einfach erleben, wie das wärmt.
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