Jan Weiler Antonio im Wunderland
einen perfekten Vater.
«So was gibt es nicht», sage ich und denke an meine Eltern. Ich habe mir zu Hause immer etwas mehr Toni-Spirit gewünscht.
Wir kaufen Pfirsiche – hier gibt es noch welche, sie sind noch nicht wie bei uns flächendeckend von der Nektarine verdrängt worden. Große, pelzige, wunderbare Pfirsiche. Habe ich lange nicht gegessen. Wir setzen uns auf einen kleinen Brunnen unter einer Platane und sehen zu, wie winzige Campobasso᾿sche Omis mit Kopftüchern Über die Straße flitzen. Die gehen jeden Tag einkaufen, um unter Leute zu kommen.
Sara grüßt jemanden, wechselt ein paar Worte. Dann leckt sie sich die Finger ab. Sie meckert über Antonios fatale Neigung, sich vor Fremden so fürchtbar aufzuspielen. Und dann ist da noch ein anderes Problem, und das gibt es nicht nur in Gastarbeiterfamilien.
Es ist nämlich nicht nur angenehm zu erkennen, dass man 64
erwachsen ist, denn dazu gehört auch die Entdeckung: Meine Eltern werden alt. Sie hören einem länger zu als man ihnen.
Sie schrumpfen. Sie haben Gewohnheiten, die man alt findet, ihre Einrichtung kommt einem trenkeresk 1 vor. Wenn man erwachsen ist, tauscht man mit seinen Eltern so ganz allmählich die Rollen. Plötzlich beginnen die Kinder, mit den Eltern ungeduldig zu werden. Der elterliche Lifestyle gerät in funda-mentale Kritik: Wie rennst du denn rum, ihr steht aber ganz schon spät auf, geh doch mal ein bisschen an die Luft, Papa.
Die Kinder mäkeln, sie weisen zurecht, sie bemerken die Al-tersflecken auf den Händen ihrer Mütter, sie wissen alles besser, sie waren schon in Patagonien. Und die Eltern? Werden unsicher, blicken nicht mehr überall durch, wollen auch gar nicht mehr alles Neue lernen. Gemeinsam nähern sich Eltern und Kinder dem Tag, an dem der Vater nicht mal mehr einen Löffel richtig halten kann und gefuttert werden muss. Der Weg dahin ist nicht ganz einfach.
Sara und Antonio befinden sich im Übergang, so wie wir uns alle irgendwann im Übergang befinden. Kennen wir das?
Ja, das kennen wir. Die Schwierigkeit ist bloß: Während es anderswo zu großen letzten Gefechten am Esstisch und zu weinenden Müttern und verletzten Vätern und schließlich zu Versöhnungen bei Wein und Schnaps kommt, verhallen im Hause Marcipane alle Versuche, den Eltern heimzuleuchten.
Sara wünscht sich, mit Antonio einmal so ein Gespräch zu 1 Eigenschaftswort, leitet sich von «Luis Trenker» (eigentlich Alois Franz Trenker, geboren am 4. Oktober 1892 in St. Ulrich, Südtirol; gestorben am 12. April 1990 in Bozen, Südtirol) ab und spielt auf das hohe Alter von Gegenständen oder Personen an. Ist meistens nicht böse gemeint.
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führen, wie es ihre Freundinnen mit ihren Eltern führen, aber Antonio interessiert sich nicht für Reformen oder Renten oder Geldanlagen. Er will mit ihr nicht über ihren Beruf sprechen und schon gar nicht über Politik. Und Ursula? Steht in der Küche und kocht. Oder sie steht im Wohnzimmer und bügelt.
Oder sie steht im Garten und gießt Blumen. Als Kind hat Sara ihre Eltern hemmungslos geliebt, inzwischen werden sie in ihren Augen immer kleiner, nicht nur körperlich.
«Ich wollte immer einen anderen Papa», sagt sie traurig, als wir durch die Altstadt spazieren gehen.
«Ich finde, er ist trotzdem ein liebenswerter Mensch», antworte ich.
«Er ist ja auch nicht dein Vater. »
«Er tut doch niemandem etwas.» Ich verteidige ihn, irgendwer muss das ja tun.
«Hat dein Vater schon mal beim Elternabend in der Schule gefordert, dass Jungen und Mädchen in unterschiedliche Orte auf Klassenfahrt gehen sollten?»
«Nein.»
«Meiner aber. Hat dein Vater jemals versucht, einem Lehrer per Telefonterror eine bessere Note in Erdkunde abzupres-sen?»
«Nein.»
«Meiner aber. Hat dir dein Vater schon mal verboten, eine Freundin mit nach Hause zu bringen?»
Kann mich nicht erinnern. Es war eher umgekehrt. Mein Vater hatte immer ein verdächtig großes Interesse daran, meine Freundinnen kennen zu lernen.
«Hat dein Vater jeden Kinofilm, den du dir anschauen woll-test, vorher angesehen, um sicherzugehen, dass der Film auch für dich geeignet ist?»
Nein, was für eine herrliche Idee.
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«Ich sage dir was», fahrt sie fort. «Meine Kindheit war nicht so witzig. Und wenn ich meinen Vater sehe, habe ich das Ge-fühl, sie hört nie auf.»
Er nennt seine Tochter immer noch «Schnucke», was sie hasst. Er fragt mich immer noch ständig, ob ich gut zu ihr bin.
Er schenkt ihr zu Weihnachten Geld, damit sie
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