Jan Weiler Antonio im Wunderland
zwar kurzfristig zu Reichtum, aber langfristig dazu führte, dass er trotz seiner Schätze nichts zu essen hatte. Außerdem musste er mit Eselsohren herumrennen, die ihm der beleidigte Apoll verpasste, weil Midas seine Musik nicht mochte und die von Pan vorzog.
Wenn heute alle Menschen Eselsohren hätten, die gerne «EI Condor pasa»
hören, ergäbe sich daraus eine wundervolle Marktlücke für die Hut- und Mützenindustrie.
2 Vermutlich geht dieses besonders im Rheinland gebräuchliche Wort auf
«Mannometer» oder «Mannomann» zurück, welches oft auch mit «Ach Manno» und von Profis eben mit «Menno» abgekürzt wird.
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zwischen, aber Antonio lässt sich nicht bremsen. Sein Auftritt entwickelt sich zu einer Ansprache zur Lage der Nation (eigentlich jeder Nation, jedenfalls ist nicht wirklich klar, welche er meint). Dann kommt er schließlich auf seine wundervolle Rente zu sprechen und darauf, dass er ein kluger Geschäfts-mann sei, der immer die richtigen Entscheidungen getroffen habe, zum Beispiel die für diesen wunderbaren Schwiegersohn. Auf die Erklärung für dieses freundliche Kompliment bin ich gespannt, aber Sara fällt ihm ins Wort.
«Papa, hör auf jetzt mit dem Schwachsinn! Kein Mensch will das hören», ruft sie auf Deutsch und schmeißt den Was-serflaschendeckel quer über den Tisch.
Und ich: «Lass ihn doch, ist doch sehr lustig.»
Und er: «Siehste du, ibin lustig.»
Sara kocht: «Nein, du bist peinlich. Es sind bloß alle höflich, merkst du das denn nicht?»
Das findet Ursula unangemessen. Sie verteidigt ihren Mann selten, aber wer ihn angreift, greift auch sie an. «Kind, jetzt ist es gut, der Papa macht doch nur Spaß.»
Onkels, Tanten, Nichten und Neffen verstehen momentan kein Wort. Da wissen die mal, wie ich mich immer fühle. Sara zündet sich eine Zigarette an und schaut mich wütend an. Als ob ich irgendwas dafür könnte, dass ihr Vater Unsinn im Quadrat redet.
«Wowari?», fragt Antonio mit gespielter Zerstreutheit.
«Du sprachst gerade von deinem Schwiegersohn», sage ich, denn ich bin wirklich gespannt, was an mir so wunderbar ist.
«Ahso, richtige», sagt Antonio, räuspert sich und fährt auf Italienisch fort, damit alle etwas davon haben. Er führt aus, dass er ja eigentlich gegen unsere Ehe gewesen sei, weil es ja so eine moderne Ehe ohne Kinder und er natürlich sehr kon-
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servativ sei. Kunstpause. Schließlich habe er aber eingewil-ligt, weil in einer modernen Ehe keine Mitgift gezahlt werden müsse. Er, Antonio, habe sich also mit diesem wunderbaren (er betont es so, als meine er wunderbar bescheuerten) Burschen viel Geld gespart. Man lacht. Sara wird rot. Sie weiß, und Ursula weiß, und ich weiß es auch, dass er ihren Bauspar-vertrag, welcher einmal mit großer Geste als Mitgift angelegt wurde, eines Tages und ohne große Umstände einfach aufgelöst hat, um eine Autoreparatur davon zu bezahlen. Für Sara ist das Maß jetzt langsam voll. Nicht nur, dass sie nichts in unsere Ehe einbringen konnte – was mich nie groß beschäftigt hat, weil ich genauso viel eingebracht habe –, nun brüstet sich ihr Vater auch noch mit dieser traurigen Tatsache. Und weitergeht's.
Seine Sara sei ja ohnehin schwer vermittelbar gewesen, au-
ßer mir hätte niemand gefragt, da habe er ja sozusagen doppelt Glück gehabt. Jetzt hat er den Bogen überspannt. Selbst Egidio, der sonst für raue Spaße zuständig ist, schaut zu mir herüber, als wolle er sagen: «Junge, jetzt musst du ihm die Salami über die Rübe ziehen.» Aber erstens geht das nicht, weil ich die Salami bis auf einen kleinen, zum Schlagen ungeeigne-ten Stumpen aufessen musste, und zweitens kommt mir Sara zuvor, indem sie ihrem Vater eine zerknüllte Papierserviette ins Gesicht wirft, ihren Stuhl umschmeißt und türenschla-gend in unser Gästezimmer läuft.
Was tun? Sofort abreisen? Mich mit meinem Schwiegervater prügeln? Ich entscheide mich, einen Schluck Rotwein zu trinken, und sage dann: «Das war ein guter Plan, Antonio, aber nicht so gut wie meiner. Ich habe sie nämlich nur geheiratet, um an deine Millionen zu kommen.»
Stille. Jetzt habe ich ihn bloßgestellt, denn natürlich wissen alle, die hier sitzen, dass Antonio nicht reich, nicht ein-58
mal vermögend ist. Die Crux ist bloß, dass man niemals die Fassade einreißt, die einer mühsam aufgebaut hat. Könnte sein, dass ich jetzt enterbt und gepfählt werde. Antonio glotzt mich an, auch er ist in einer schwierigen Lage. Er hat es übertrieben,
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