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Jan Weiler Antonio im Wunderland

Jan Weiler Antonio im Wunderland

Titel: Jan Weiler Antonio im Wunderland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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gegeben.
    Inzwischen schätzt man Antonio als spendablen Onkel, und seine stille Frau – die Deutsche, wie sie jahrelang nur genannt wurde – wird gemocht, weil sie immer freundlich ist und sich am Familienklatsch nur als aufmerksame Zuhörerin beteiligt.
    Es ist nicht zu erwarten, dass sie Geheimnisse ausplaudert, schon weil ihr das nötige Vokabular im regionalen Slang dafür fehlt.
    Was seine Parteizugehörigkeit anging, so war Antonios Karriereleiter übrigens in Wahrheit von beeindruckender Kürze und zählte genau zwei Sprossen: einfaches Mitglied und Versammlungsleiter bei einer Sprecherwahl. Dennoch verklärt er seine Parteitätigkeit zu einer glanzvollen Karriere, in welcher er es bis zum Parteisekretär gebracht habe.
    Aber was soll's, vergeben ist das und vergessen, schließlich müssten die bösen Menschen zur Strafe immer noch in Italien hausen, während er in seiner Villa in Deutschland sitzt und zum Frühstück Zungenwurst bekommt. So, da habt ihr's.
    Es sind diese Auftritte und Ansprachen, die Sara den letzten Nerv rauben. Diese geballte Ladung Frohsinn und Anmaßung hat sie über dreißig Jahre ausgehalten, jetzt hat sie dazu keine Lust mehr. Irgendwann musste es einfach so kommen, und nun ist es halt so weit. Ich kann Sara schlecht bitten, sich zu-sammenzureißen, schließlich hat sie auch Tochterrechte. Mir scheint allerdings, dass Antonio es ihr kaum recht machen kann. Er bemüht sich sichtlich, bringt ihr Kaffee, dekoriert ihren Platz mit ein paar Blümchen, flötet Komplimente. Er hat ein schlechtes Gewissen. Aber es hilft nichts. Sara kann stur sein wie ein sardischer Esel. Nichts zu machen, sie lässt ihn auflaufen, auch als er ihr wichtige Tipps fürs Lottospielen 62
    gibt. Sie spiele kein Lotto, knurrt sie und geht mit ihrem Kaffee in Nonna Annas Küche.
    Antonio setzt sich an den Esstisch und seufzt. So leicht kommt er nicht aus der Nummer heraus. Und das ist für ihn schon eine große Belastung, denn er begibt sich nicht häufig in Krisensituationen. Meistens lebt er einfach glücklich in seiner eigenen Welt, in der Antonio-Welt. Die Probleme draußen bei den anderen berühren ihn nur kurz und auch nur sanft, wenn zum Beispiel das Essen versalzen ist oder der Wind ihm den Hut vom Kopf weht. Ansonsten nimmt er die Fährnisse des Lebens nur sehr eingeschränkt oder gar nicht zur Kenntnis.
    Wenn er zum Beispiel in Deutschland ist und der Bus zu spät kommt, ärgert er sich nicht, niemals. Das ist nicht sein Problem, denn seiner Logik zufolge fährt der Bus ja nicht seinetwegen. Er ist bloß Gast in diesem Land, und Zeitverzöge-rungen im öffentlichen Personennahverkehr (ein Wort, das er bis heute nicht benutzt, er sagt stattdessen: öffentlicher Verkehr) betreffen eigentlich die Deutschen und nicht ihn. Und wenn er in einem Restaurant sitzt und nichts findet, worauf er Lust hat, empfindet er Mitleid mit den armen Menschen, die so ein schreckliches Essen runterwürgen müssen. Seine Sicht der Dinge hat Vorteile: Ihm geht es eigentlich immer gut, denn er hat alles, was er braucht, und wenn er mal etwas nicht hat, erklärt er dies zu seinem Lebensprinzip.
    Sara ist anders als ihr Vater. Sie findet ihn ignorant und steht nun schon nach kaum zwei Tagen mit ihm in Campobasso geduldsmäßig vor der Kernschmelze. Nach dem Früh-stück will sie raus, spazieren gehen, auf jeden Fall nicht in seiner Nähe sein. Es ist warm draußen, schon am Vormittag über dreißig Grad. Sommerhitze mit Wind, wie es hier üblich ist. Man könnte Drachen steigen lassen, wenn das nicht zu anstrengend wäre.
    63
    «Er hört nie zu», sagt sie, kaum dass wir das Haus, in dem Nonna Anna wohnt, verlassen haben und auf die Straße treten. «Hat er eigentlich nie getan.» Wir laufen die Via Tiberio entlang, und plötzlich bricht alles aus ihr heraus, sie lässt wirklich kein gutes Haar an ihrem Vater. Bisher war sie immer loyal, ihre Familie war eine Art Geheimloge, und Antonio so etwas wie ein Zauberer. Jetzt entpuppt er sich aber als Illusio-nist, und das ist eben nicht dasselbe.
    Es stimmt schon: Antonio übertreibt, er schmückt aus, er fabuliert. Und alle, die es besser wissen, schütteln den Kopf oder lachen über ihn. Er denkt dann, sie lachen mit ihm und bringt seine Töchter damit noch mehr auf die Palme. Er ist seinen beiden Mädchen peinlich, er lacht bei Filmen an den falschen Stellen, er ist so offensichtlich voller Unzulänglichkeiten, dass ihn jeder mag. Aber Sara hätte gerne einmal, nur ein einziges Mal,

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