Jan Weiler Antonio im Wunderland
Testreihe ruinierte.
Ebenfalls total erfolglos: eine neue Eisgeschmacksrichtung 101
namens Kutteln-Zimt 1 und eine neue Sportart, in der es darum geht, so schnell wie möglich allen Badegästen die Badehosen runterzuziehen. Wer die meisten schafft, hat gewonnen und mindestens ein Veilchen. Nur einmal, ein einziges Mal funktionierte ein Produkt aus dem Hause Marcipane einwandfrei und konnte Gutes tun, nämlich seine Alarmanlage.
Er verkaufte sie für 20 Euro an einen Turiner Touristen, der ein sehr teures Auto besaß. Bei der Alarmanlage Ilaria 2002
handelte es sich genau genommen um seine siebenjährige Großnichte (Sie wissen schon: die Tochter von Giancarlo und Barbara, Schwester von Antonio und Enkelin von Raffaele). Er platzierte sie in Rufnähe zu dem teuren Auto und versprach ihr ein großes Eis mit Sahne, wenn sie schrie, falls sich jemand nä-
herte. Der Mann aus Turin legte sich in die Sonne und schlief.
Als er wieder aufwachte, bekam er Hunger und ging zu seinem Wagen, um Geld herauszuholen. Als er ihn aufschließen wollte, begann Ilaria so unfassbar schrill zu schreien, dass im Umkreis von hundert Metern die Glasscheiben zitterten. Dazu zeigte sie auf den Mann am Auto und brüllte: «Autodieb, ein Autodieb, ein Autodieb!» Der Mann hatte größte Mühe, den umstehenden Menschen und der Polizei klar zu machen, dass er der Besitzer des Wagens war und die Kleine da drüben sogar noch dafür bezahlte, wie am Spieß zu brüllen.
Ilaria hörte erst auf zu schreien, als sie nach fünfzehn Minuten hyperventilierte. Immerhin hatte sie sich als Alarmanlage zur Legende gemacht und erhielt nicht weniger als drei ernst gemeinte Anfragen von Hausbesitzern, die zwar gut dotiert waren, aber sie hätte nachts arbeiten müssen, und das verbot ihre Mutter.
1 Klingt auf Italienisch aber eigentlich viel versprechend: trippa-cannella
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Antonios neuer Clou sind nun die Schaschlikspießchen und das Papier.
«Das, liebe Jung, iste Schatten für arme Leut.»
«Schatten für arme Leute?»
«Legst di an der Strand und steckste in der Sand, dann kannst schlafen ohne Sonne in der Augen.»
Soso. «Und was kostet das?»
Antonio lässt seine Goldzähne wild funkeln. Die Gier springt ihm aus den Augen. «Kostete nur fünf Euro.»
«Fünf Euro für vier Holzspießchen und ein Blatt Papier?
Das kauft doch kein Mensch.»
Niemals gibt dafür jemand Geld aus. Antonio rechnet mir nun vor, dass wir mit den 200 Schaschlikspießen 250 Euro Umsatz machen können. Das ist mehr als mit Schaschlik!
Seine Begeisterung kennt keine Grenzen, und wo er Recht hat, hat er Recht. Außerdem will er mich am Gewinn beteiligen.
Also bastele ich mit ihm erst einmal zwanzig Sonnendächer aus Papier, auch wenn ich die ganze Zeit denke, dass man sich ja auch ein T-Shirt oder ein Buch oder ein Handtuch oder einfach gar nichts auf den Kopf legen kann, wenn man am Strand schlafen will.
Ich humple ihm hinterher ans Meer und werde Zeuge, wie er von Badegast zu Badegast geht, sich bückt, freundlich sein Produkt anbietet, es erklärt, sich zu Demonstrationszwecken selber flach auf den Boden legt, das Papier über seine Nase stülpt und mit den Schaschlikspießen im Sand fixiert. Gut, er muss mit dem Preis runter, das war klar. Aber in kurzer Zeit sind die zwanzig Toni-Dächer, so heißt seine Erfindung, verkauft. Für immerhin 50 Cent pro Stück. Wir laufen zurück zum Haus und werfen unter Einspannung der Enkelkinder eine Massenproduktion vorindustrieller Art an.
Nach einer Stunde haben wir achtzig Papiersonnensegel 103
verkauft, überall auf dem Strand sind sie verteilt. Es sieht so stylish aus, wir haben ein must-have kreiert, das man überall auf der Welt gebrauchen kann. Und das Tollste ist: Auf der Oberseite ist Platz für Werbung! Wir werden reich. Antonio rechnet mir die Margen vor, mir wird schwindlig. Eine Milliarde Segel pro Saison! Und dann kommt, als sei es ein göttliches Zeichen, ein Wind auf, eine Böe, wie man sie gern hat am Meer. Sie fasst beherzt unter achtzig Papiersegelchen, rupft sie aus dem Sand und wirbelt sie mitsamt der Holzspieße nach oben in die Luft. Dort schlingern sie, taumeln tänzelnd im Wind und fliegen davon, unter sich Menschen, die ihnen hinterherlaufen, als habe jemand aus einem Hubschrauber Geldscheine abgeworfen.
Und da ist Antonios Traum auch schon wieder vorbei. Na gut, werden wir doch nicht reich. Was gibt's heute Abend zu essen?
An unserem letzten Abend geht es mal wieder um Campobasso. Die Altstadt,
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