Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jan Weiler Antonio im Wunderland

Jan Weiler Antonio im Wunderland

Titel: Jan Weiler Antonio im Wunderland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
Vom Netzwerk:
schon gemacht, buffone 1 . Nachdem er mir mit sei-nem Gefummel nachhaltig die Laune verdorben hat, hält er plötzlich inne und zeigt aus dem Fenster. Ich sehe hin und –
    ratsch – zieht er das rostige Teil aus meinem Fuß. Er reinigt die Wunde und verbindet alles. Dann fragt er nach «Tetano»
    und gibt mir eine Spritze. Alles nicht so wild, kein Grund zur Aufregung, kann ja jedem mal passieren. Der Mann ist nett, und fähig ist er auch. Ich soll nochmal wiederkommen, damit er sich das ansehen kann, denn immerhin besteht die Gefahr einer Blutvergiftung.
    Als wir in unser Ferienhaus zurückkehren, werde ich emp-fangen wie ein totgeglaubter Kriegsheimkehrer. Nonna Anna, die sonst oft spröde und ungeduldig mit mir ist, weint sogar.
    Mir wird ab heute die gesamte Fürsorge einer großen italienischen Familie zuteil. Ich trage einen Verband am Fuß, der es mir unmöglich macht, normal zu gehen, also bekomme ich Krücken und Eis und Melone mit Schinken, wann immer mir 1 Witzbold
    99
    danach ist. Man kann das glauben oder nicht, aber eine ärger-liche Verletzung in den Ferien muss diese nicht verderben. Ich bin sogar froh, dass ich in eine Schraube getreten bin, denn auf diese Weise muss ich nicht am familiären Trott teilnehmen. Ich genieße das regelrecht.
    Ich sitze tagelang alleine auf dem Balkon, während meine zahlreichen Verwandten am Meer sind, und beobachte die Straße. Auch Nonna Anna bleibt im Haus, ihr ist es am Strand zu heiß. Sie kocht oder döst. Manchmal höre ich sie schnarchen. Immer wenn es ihr gerade einfällt, bringt sie mir ein Kaffeechen oder ein Glas Lemonsoda. Sehr angenehm!
    Schräg gegenüber von unserem Haus steht ein Müllcontai-ner und stinkt vor sich hin, aber er stört mich nicht, weil viele Leute vorbeikommen und ihm Geschenke bringen. Da gibt es allerhand zu beobachten.
    Mülltrennung gibt es hier selbstverständlich nicht. Ich verbringe einen halben Nachmittag mit einer spannenden Diskussion in meinem Kopf. Was ist besser: die schon faschis-toide Mülltrennerei deutscher Prägung, die für alle möglichen Abfälle verschiedenfarbige Tönnchen und bei Missachtung drakonische Strafen oder zumindest den Ausschluss aus dem Gutmenschentum vorsieht? Dieses philisterhaft deutsche Sortieren von Zigarettenpackungsfolie, Zigarettenpa-ckungsstanniolpapier und Zigarettenpackungspappe in unterschiedliche Behälter? Oder die völlige Ignoranz gegenüber jeglichem Müll, sei es der eigene oder fremder? Das Schulterzucken, wenn der Abfall vor sich hin stinkt und die Ratten aus dem Container blinzeln, wenn man seine Säcke hinein-stopft?
    Ebenfalls ein großes Thema für mich sind täglich zwei konkurrierende Gemüsehändler, die im Abstand von drei Stunden mit ihren alten Lieferwagen vorbeikommen und mit 100
    einer Glocke bimmeln. Dann rufen sie, was sie im Angebot haben, und aus den Häusern strömen die Frauen und palavern mit ihnen. Das Angebot der beiden ist identisch, und die Kunden sind es auch. Sie gehen zuerst zu dem Älteren, der früher kommt, und kaufen ihm was ab, und später gehen sie auch zu dem Jüngeren und kaufen dieselben Sachen noch einmal. Ich sehe von oben zu, verstehe kein Wort, rauche und frage mich: Kaufen sie die Hälfte bei dem einen und die andere bei dem anderen, oder kaufen sie doppelt so viel, wie sie brauchen, um einen der beiden nicht zu entmutigen? Sie könnten ja auch abwechselnd an einem Tag bei dem einen und am nächsten Tag bei dem anderen kaufen oder bei keinem von ihnen.
    Vielleicht habe ich einen Sonnenstich?
    Eines Nachmittags fliegt die Tür auf, und Antonio stürzt herein. «Schnell, du musst mir helfen!», ruft er mir auf Italienisch zu. Er schleppt Papier und eine Packung Schaschlikspieße herbei und beginnt damit, je vier Spieße in die Ecken des Papiers zu bohren.
    «Was wird denn das?», frage ich ehrlich neugierig. Mir schwant, dass es sich dabei wieder einmal um eine von Antonios genialen Geschäftsideen handeln muss. Ich habe keinen Urlaub erlebt, an dem er die Menschheit nicht mit ausgeklügelten Erfindungen beglückt hat. Die Produktion der meisten davon wurde umgehend wieder eingestellt, denn entweder braucht niemand seine Erfindungen, oder sie sind zu kompliziert, oder er verkauft sie zu teuer. In unserem letzten Urlaub in Termoli ersann er einen Handschuh, mit dem man Sonnencreme gleichmäßig und großflächig auf dem Körper verteilen konnte. Dachte er jedenfalls, bis er ein paar lederne Autofahrerhandschuhe von Onkel Raffaele in einer

Weitere Kostenlose Bücher