Jan Weiler Antonio im Wunderland
eigentlich alles falsch aus, wenn man es mal vom Standpunkt eines Hochdeutsch sprechenden Menschen aus betrachtet.
Das brünftig Röhrende im bayerischen Idiom verbreitet besonders unter Italienern und Japanern Fürcht und Schre-cken. So gesehen ist der Oktoberfest-Besuch vieler tausend Italiener als Abenteuerurlaub zu werten. Ähnlich wie Han-nibal seine Elefanten, schieben die italienischen Wiesngäste ihre Wohnmobile und Kleinwagen über die Alpen in ein un-gewisses Schicksal. Dazu gehört viel Mut und Geld und eine 107
positive Grundstimmung, die den Italienern beim Reisen aber ohnehin eigen ist. Keine Gegend der Welt kommt heute ohne Italiener aus, die sich verlaufen oder verfahren, auf jeden Fall verirrt haben. Immer wieder mal hört man von erschöpften Kleinwagenbesatzungen, die Mitte Oktober in der irrigen Annahme, das Oktoberfest fände im Oktober statt, nach München kommen. Die Enttäuschung darüber, dass das Oktoberfest im Wesentlichen im September abgehalten wird und die Verwunderung über die geradezu mediterrane Ungenauigkeit des Begriffs Oktoberfest hält aber nie lange vor. Italienische Touristen lassen sich den Urlaubsspaß niemals verderben und suchen stattdessen für mehrere Tage das Hofbräuhaus auf, wo sie sich den Platz mit Japanern und Amerikanern teilen, die ganzjährig dort zu finden sind.
Saras Cousin Marco plant seinen ersten Oktoberfestbesuch.
Er hat sich dafür ein Wohnmobil geliehen und kündigt sein Kommen für das zweite Oktoberfestwochenende an. Dies ist das so genannte Italiener-Wochenende, wo in Bayern die Verkehrsnachrichten auf Italienisch gesendet werden, in der Hoffnung, die Gäste würden irgendwo weit draußen parken, möglichst in Rosenheim oder noch besser in Innsbruck. Am Italiener-Wochenende gibt es Lebkuchenherzen, auf denen
»ti amo» steht, und ein Gedrängel, das man schon als Mutter aller Gedrängel bezeichnen kann. Das Oktoberfest ist neben der Tokioter U-Bahn vermutlich das Eldorado für Frotteure, besonders am Italiener-Wochenende, woraus man nun aber nicht ableiten sollte, die Italiener seien allesamt Frotteure. Sie schätzen bloß die Geselligkeit.
Mein Fuß ist seit dem Urlaub weitgehend abgeschwollen, also freue ich mich auf den Besuch und werde auch mit auf die Wiesn gehen. Marco und seine Kumpels wollen auf kei-108
nen Fall bei uns übernachten, da sie ohnehin nicht vorhaben zu schlafen. Sollten sie doch einnicken, dann möchten sie dies wiesnnah in ihrem Wohnmobil tun. Sara versucht, sie zu überreden, sie spricht von der Möglichkeit, zu duschen oder eventuell ausgestreckt auf einer richtigen Matratze schlafen zu können. Aber Marco bleibt hart. Er hat jedoch nicht mit der ordnenden Kraft der bayerischen Polizei gerechnet, die ihm schon auf der Autobahn mitteilt, dass er keinesfalls mit dem Wohnmobil in die Stadt könne. Das Parken rund um die Festwiese wird seit einigen Jahren weitgehend unterbunden, weil die Anwohner sonst in Fäkalien ertrunken wären. Also werden Marco und die Jungs auf einen Campingplatz umge-leitet, der von weitem aussieht wie das Freilaufgehege einer Hühnerfarm.
Marco hat zwei Freunde mitgebracht. Von weitem ist das Trio fast nicht zu unterscheiden, sie ähneln einander wie Tick, Trick und Track, das sind die Neffen von Donald Duck, die man nur anhand der unterschiedlich farbigen Mützen auseinander halten kann. Tick, Trick und Track heißen in Italien übrigens Qui, Quo und Qua. Und in Amerika Huey, Dewey und Louie 1 , aber das ist jetzt nicht so wichtig.
Marcos Freund heißt Fürio, ist ebenso klein, schlank und dunkelhaarig wie Marco. Er hat noch seinen Bruder Francesco mitgebracht, der nur zehn Monate jünger ist als er selbst und daher als Krone der Schöpfung innerhalb seiner Familie gilt.
Nach Umarmung, Küssung und dem Austausch von Kom-plimenten wünschen die drei, unverzüglich zur festa di birra gebracht zu werden. Es ist Freitagnachmittag. Leute, das hat doch keinen Sinn! Außerdem regnet es. Egal, egal, egal, wir 1 Huey (Tick) trägt normalerweise die rote Kappe, Dewey (Trick) die blaue und Louie (Track) die grüne.
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müssen sofort dahin, wo es Bier und Brezeln und was auf die Nuss gibt. In direkter Nachbarschaft zu Marco und seinen Begleitern campiert eine Truppe aus Schweden. Sie sind leicht zu identifizieren, nicht nur an ihrem Auto, sondern auch an den Wikingerhelmen, die sie tragen, während sie gerade ein Nickerchen machen. Sie schlafen draußen, haben sich mit ihrem Zelt zugedeckt. Einige der
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