Jan Weiler Antonio im Wunderland
uns rüber gesehen, Officer. Wie so'n Perverser aus'm Fernsehen.»
«Und dann?»
«Dann hat er auf einmal angefangen, sich wie'n Wilder aufzuführen. Wir wollten ihm helfen, aber da ist er total ausge-rastet.»
Leroy mischt sich ein: «Genauso war's, Officer.» Er hebt sein Funkelhandy in die Luft. «Ich habe bei der Polizei angerufen.
Ich glaube, der wollte uns ans Leder, und dann ist er verrückt geworden.»
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Der Polizist wendet sich an Benno und Antonio.
«Können Sie das bestätigen?»
Benno und Antonio sehen sich an, sie haben natürlich kein Wort verstanden und antworten im Chor: «Ja.»
Meine Lage wird dadurch nicht gerade verbessert. Ich setze mich auf und frage «Darf ich auch mal was sagen?», worauf der jüngere Polizist aus dem Wagen mich anherrscht, ich solle auf dem Boden liegen bleiben.
«Wo kommen Sie her?», fragt der Weißhaarige in Richtung Benno. Die Frage hat er verstanden und strahlt über das ganze Gesicht, weil er endlich auch mal was zur Unterhaltung beitragen kann.
«Krefeld.» Seine Antwort verwirrt die Kollegen, und für einen Moment hat es den Anschein, als würden sie Benno in putativer Notwehr erschießen. Nun kommt Trainingsanzugs Schwester dazu. «Können wir gehen, Officer?», fragt Leroy.
Die Beamten lassen die Jugendlichen ziehen und wissen nun auch nicht, was sie mit mir machen sollen. Sie ahnen ja nicht, dass ich zu den beiden älteren Gentlemen aus diesem Land namens Kräifelt gehöre. Ich sage mit dem Gesicht zum Boden:
«Sir, das ist mein Schwiegervater. Wir sind Touristen aus Deutschland.»
«Wer ist Ihr Schwiegervater?» Der Weißhaarige ist verwirrt.
«Antonio, kannst du mal die Hand heben?» Ich würde gerne wieder aufstehen. Antonio hebt die Hand und lächelt die Polizisten an. Das Goldzahnlächeln.
«Stehen Sie bitte auf, Sir.»
Ich stehe auf und versuche, den Uniformierten so knapp wie möglich zu erklären, was gerade passiert ist. Die Sache mit dem crazy acting lasse ich aber weg. Ich sage stattdessen, mir sei plötzlich übel geworden.
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«Was machen Sie hier? Das ist normalerweise keine Gegend, in die man als Tourist kommt.» Da hat er Recht. Ziemlich trist hier.
«Wir sind zum Barbecue eingeladen. Bei einem Beamten von der Zollpolizei. Sein Name ist Pino Carbone.»
So langsam entspannt sich die Lage. Meine Angaben überzeugen die Cops zumindest so weit, dass ich nicht verhaftet werde.
«Sie haben Sergeant Hobbs angespuckt, Sir. Wir können das nicht tolerieren.»
Ich entschuldige mich geflissentlich. Mister Hobbs sieht nicht nachtragend aus, aber auch nicht richtig überzeugt. Auf jeden Fall trollt er sich. Die beiden anderen stehen unschlüssig mit uns auf der Straße herum. Schließlich fragt old white-wig nach der Adresse von Pino. Ich reiche ihm den Zettel, und er sagt: «Das ist mehr als zwei Meilen von hier entfernt.
Ich schlage vor, dass wir sie dorthin bringen, bevor Sie sich noch weiteren Ärger zuziehen.»
«Das ist aber nett von Ihnen.»
«Ich will in meinem Bezirk keine Scherereien. Und Sie drei sehen nach Ärger aus.»
Das hat noch nie jemand zu mir gesagt, ich finde, es klingt beinahe schmeichelhaft. Wir steigen in das Polizeifahrzeug, und die beiden Cops bringen uns zu Pino. Wir kommen dadurch überpünktlich, aber das stört mich wenig. Auf der Fahrt spricht niemand, ich habe Zeit, die Situation noch einmal Re-vue passieren zu lassen. Mein Auftritt war an sich schon peinlich genug, aber noch viel unangenehmer ist mir, dass ich die beiden schwarzen Jungs verdächtigte, mich ausrauben zu wollen. Warum habe ich das getan? Weil sie schwarz waren? Weil ich Angst hatte? Weil ich überhaupt keine Ahnung vom Leben in dieser Stadt habe? Weil ich ein Weichei bin? Oder weil sie 186
mich vielleicht schon überfallen hätten, bloß nicht am hell-lichten Tag? Ich werde es nie erfahren, aber es bedrückt mich, denn ich bin ein politisch korrekter Deutscher, und mein Verhalten war nicht korrekt. Von der Scham bekomme ich ganz warme Füße.
Es wäre nicht nötig und es verstärkt meine Seelenpein, dass der Officer es sich nicht nehmen lässt, eigenhändig an der Tür von Pinos schmalem Häuschen zu klingeln. Es ist ein graues Reihenhaus in einer Straße mit lauter grauen zweistöckigen Reihenhäusern, die alle ziemlich heruntergekommen aussehen. Vor den Häusern kleine Vorgärten mit zertrampeltem Rasen, der jetzt im November die Farbe der Häuser annimmt.
Es ist nicht auszuschließen, dass es hier im Sommer richtig nett aussieht,
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