Jan Weiler Antonio im Wunderland
bereits seit zwanzig Minuten mit ihnen eine Gnu-Löwen-Beziehung habe.
Es kommt mir vor, als würden wir uns schon kennen, dabei haben sie noch gar nicht «Gib mir dein Geld und die Kreditkarten» gesagt.
Hinter der Drehtür sehe ich mich um, und tatsächlich: die beiden sind uns gefolgt. Jetzt stehen wir auf der Straße, mitten in Queens, und ich kann es nicht mehr hinauszögern: Ich muss nun einfach in die Karte sehen, sonst verlaufen wir uns, und das würde die Sache nicht gerade vereinfachen. Ich werde aber nicht gleich schlau aus der verdammten Karte. Wo ist nochmal Norden, wir müssen nämlich nach Süden.
Nachdem ich eine Minute lang wie Christoph Kolumbus verwirrt die Karte gedreht habe («Das hier ist doch nie im Leben Indien!?»), sehe ich die Löwen wieder. Sie stehen in einiger Entfernung herum und sehen natürlich in meine Richtung. Was für ein Geräusch macht eigentlich ein Gnu? Macht es «muh» wie eine Kuh, oder eher «blök» wie eine Riesenzie-ge? Oder fügt es sich still in sein Schicksal?
Manchmal kommen einem im Moment der größten Verzweiflung plötzlich die besten Einfalle. Ich erinnere mich auf einmal daran, dass mir ein Freund vor langer Zeit erzählte, wie er sich in Rio de Janeiro vor Überfallen geschützt hat. Das Schlüsselwort heißt: «Act crazy». Er sagte: «Wenn du mal in eine Gruppe gefährlicher Typen gerätst, verhalte dich so auffällig wie möglich. Sabbere dich voll, laufe wie ein Buckliger, beuge den Oberkörper vor und zurück. Dann wirst du garan-182
tiert nicht überfallen. Act crazy.» Das leuchtet mir ein. Sogar cracksüchtige Ghettobrutalos haben vermutlich eine gewisse Hemmschwelle, was Trottel angeht. Sie wollen nicht schuld an epileptischen Anfallen sein oder sich die Klamotten voll rotzen lassen. Wenn ich also Antonio und Benno heil hier rausbringen will, muss ich tun, was ein Mann in Krisensituationen halt tun muss: Mich wie ein Depp aufführen. Noch ein Kontrollblick zu den Jungs – sie sehen immer noch zu uns rü-
ber – und dann lege ich los.
Ich lasse die Straßenkarte fallen und strecke den Kopf vor, lasse meine Zunge raushängen und mache dabei Geräusche wie ein verrücktes Gnu. Ich stampfe mit den Füßen auf und wackle mit dem Schädel wie früher im Keller meiner Eltern, wenn AC/DC lief. Ich drehe mich ein bisschen im Kreis, ich lasse Spucke an meinem Kinn herablaufen. Die Burschen kommen neugierig näher und stellen sich zu meinen Begleitern, die mich fassungslos ansehen.
«Tutto bene?«, ruft Antonio besorgt.
«Wat is' denn mit dem loss?», fragt Benno, der noch den ruhigsten Eindruck auf mich macht.
Der weiße Trainingsanzug fragt: «Alles okay, Mann? Was ist los mit Ihnen, Sir?»
Der andere zieht ein mit Strasssteinen besetztes Handy aus seiner Tasche und wählt eine Nummer, dann dreht er sich um. Wahrscheinlich will er Verstärkung holen. Ich mache Monsterkrallen, schiebe den Unterkiefer nach vorne und reiße die Augen auf. Act crazy! Der Trainingsanzug bückt sich und schaut mich von unten an.
«Hey, hallo, jemand zu Hause?», fragt er. Du kriegst meine Kreditkarten nicht, Kumpel. Versuche nicht, ein verrücktes Gnu auszurauben. Ich mache «Wuhuuu», und dann berührt mich jemand von hinten, einer hat seine Hand auf meine 183
Schultern gelegt. Ich fahre herum und spucke drauflos. Das gefällt dem Polizeibeamten nicht sehr. Ich habe doch tatsächlich einen Cop angespuckt. Der Mann reagiert mit dem gewissen Beamtentrotz, der in der ganzen Welt zu Hause ist.
Er wischt sich die volle Ladung von der Backe, schubst mich von sich, setzt nach, und als ich stolpere, drückt er mich zu Boden. Antonio schreit «Aufhör, aufhör», und da biegt auch schon ein Streifenwagen um die Ecke. Super, mit dieser tollen Sirene. Sehr effektvoll. Ich liege auf dem Bauch und rühre mich nicht, während zwei weitere Cops aus dem Auto steigen und auf uns zukommen.
«Werden Sie ruhig auf dem Boden liegen bleiben, wenn ich Sie loslasse, Sir?»
Ich nicke, und er lockert seinen Griff. Ich sehe, wie die drei Beamten sich unterhalten.
«Was ist genau passiert?», will nun der älteste Polizist, ein Weißer mit weißen Haaren, wissen. Darauf tritt der Bursche mit dem weißen Trainingsanzug vor und sagt: «Der Mann hat uns schon die ganze Zeit im Zug angestiert. Leroy und ich sind hier ausgestiegen und haben auf meine Schwester gewartet, da hat er sich in die Nähe gestellt und so getan, als würde er eine Straßenkarte lesen. Aber in Wirklichkeit hat er immer zu
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