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Jan Weiler Antonio im Wunderland

Jan Weiler Antonio im Wunderland

Titel: Jan Weiler Antonio im Wunderland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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aber im Moment wirkt das alles etwas trostlos, selbst wenn es ungewöhnlich warm ist an diesem Sonntag. An manchen Häusern hängen Basketballkörbe.
    Auf der Straße stehen kleine japanische Autos, hier und da auch amerikanische Mittelklasse. Queens ist so etwas wie der Vorhof zum amerikanischen Traum. Wer hier wohnt, kommt vielleicht noch woandershin. Von anderen Gegenden dieser Stadt lässt sich das nicht sagen. Aber da fahren wir nicht hin.
    Mein Reiseführer rät dringend davon ab. Aber ich würde ohnehin nicht auf die Idee kommen, durch Bedford Stuyvesant zu spazieren. Wenn ich das nicht in Hamburg oder Berlin in den entsprechenden Gegenden tun würde, warum dann ausgerechnet in New York? Pino öffnet die Tür, und vor ihm steht zunächst einmal ein Streifenpolizist. «Ich bringe Ihren Besuch», sagt Weißkopf und lässt es sich nicht nehmen, ausführlich zu schildern, wie ich zunächst zwei Jugendliche bedrängt, dann schweren Landfriedensbruch begangen und schließlich seinen Kollegen bespuckt habe.
    Pino hört sich das alles an und nimmt auch die schulmeis-187
    terliche Ermahnung, gut auf uns aufzupassen, gelassen entgegen. Als die Cops weg sind, sagt er: «Ihr habt Nerven. Zwei Tage in New York, zweimal verhaftet. Auch ’n Kunststück.»
    Genau genommen sogar schon dreimal, wenn man die Sicherheitskontrolle am Düsseldorfer Flughafen mitzählt. Von dem Saurierzahn erzähle ich ihm natürlich auch nichts. Er führt uns durch einen dunklen Flur ins Wohnzimmer, wo eine vielköpfige Familie an einem Tisch sitzt und aus einem Kanis-ter Coca-Cola trinkt. Antonio schiebt sich in den Mittelpunkt der Szene, indem er die ganze Mannschaft auf Italienisch begrüßt. Es ist, als würfe man einen Fisch in ein Aquarium, in dem schon zwanzig Fische von derselben Sorte schwimmen.
    Mein dicker alter Schwiegervaterfisch schlägt einmal mit der Schwanzflosse und verschwindet dann zwischen den anderen.
    Schon bald herrscht ein großes fröhliches Getöse. Pino hat allerhand Cousins und Tanten, die älteren erinnern sich sogar noch an Campobasso. Die Kinder, von denen man bis zu einem gewissen Alter absolut nicht sagen kann, welchem Geschlecht sie angehören (meistens hält man dann kleine dicke Jungs für kleine dicke Mädchen), sind von genau demselben Kaliber wie in Italien, dabei sind das alles waschechte kleine Amerikaner.
    Pino legt aber großen Wert auf seine Abstammung, es wird von fast allen nur Italienisch gesprochen, und auch die Einrichtung spiegelt seine Herkunft wider. Natürlich hängt ein großes Kreuz über der Kommode im Wohnzimmer. Seine Sitzmöbel sind mit dicker transparenter Plastikplane überzogen, damit sie länger halten. Und an den Wänden hängen kitschig gerahmte Fotos von Osterprozessionen in Little Italy und von der Abschlussfeier der Polizei-Akademie. Die Carbones haben einen außergewöhnlich großen Fernseher in ihrem 188
    außergewöhnlich kleinen Wohnzimmer, das sich mit immer mehr Familienmitgliedern und Nachbarn füllt. Alle wollen den lustigen Burschen sehen, den Pino bei der Arbeit kennen gelernt hat.
    Es kommen auch Cops in Uniform. Pinos drei Brüder sind ebenfalls Polizisten geworden, und sein Vater war auch einer. Die Familie kam Anfang des letzten Jahrhunderts nach Amerika und hat über Generationen immer nach den Gesetzen dieses großartigen Landes gelebt, wie Pino für meinen Geschmack einige Male zu oft betont. Sie sind Amerikaner, gute Amerikaner. Sie haben Opfer gebracht in Vietnam und im ersten Irak-Krieg. Als Pino das erzählt, kommt es mir vor, als wolle er damit sagen: Wir haben Soldaten beerdigt, also gehört uns etwas von diesem Land.
    Pino gibt mir ein Bier und zeigt mir den Garten, der nicht der Rede wert ist. Er ist so winzig, dass beinahe nur der allerdings gigantische Grill hineinpasst, und er wird von einem schmutzigen Lattenzaun begrenzt, der an die zwei Meter hoch ist und dem Gärtchen auch noch das letzte bisschen Licht nimmt. Außerdem stehen da noch ein Tisch und zwei Stühlchen, auf die wir uns setzen. Wir nippen an unserem Bier, und ich sehe ihm zu, wie er die salsicce wendet. Ich fühle mich wohl, gut aufgehoben. Es ist wie in Campobasso.
    Zwischendurch kommt Pinos Frau Rosa nach draußen und meckert über irgendeinen Ottavio, der sich nicht bücken ließe.
    Das ist der Sohn der Carbones, neunzehn, ein schwieriges Alter.
    «Ich mag deinen Schwiegervater», sagt Pino und legt Fisch auf den Grill. «Ich mag ihn wirklich. Er erinnert mich an alles, was mein

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