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Jan Weiler Antonio im Wunderland

Jan Weiler Antonio im Wunderland

Titel: Jan Weiler Antonio im Wunderland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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Großvater mir von zu Hause erzählt hat.» Er nennt Italien sein Zuhause, obwohl er noch nie dort war.
    «Interessant, denn er lebt schon seit vierzig Jahren in 189
    Deutschland», sage ich. «Er ist auch sehr deutsch, manchmal.»
    «Mag sein», antwortet Pino, «aber deine Wurzeln verlierst du nie. In dem Moment, wo ich ihn in diesem Büro zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich, dass er aus meiner Gegend kommt.»
    «Woran haben Sie das gesehen?»
    «Ich habe es gar nicht gesehen. Ich habe es gefühlt.»
    Antonio hat inzwischen die ganze Familie reihum gefragt, ob jemand zufällig Mauro Conti kenne (leider nein), und ichnen erzählt, dass er hier in einer geheimen Mission zur Rettung von Campobasso sei. Er genießt die Aufmerksamkeit der Carbones in vollen Zügen.
    Dann wird gegessen. Wir Italiener knabbern ja gern. Bisschen hiervon, bisschen davon. So ein Barbecue dauert dann eben den ganzen Tag. Es ist zwar keine Grillsaison, aber das scheint hier niemanden zu stören. Gegen Abend gibt es auch noch Spaghetti, die von Rosa und ihren zwei Töchtern mit ragú con polpette serviert werden. Die ältere Tochter, sie heißt Livia, ist so unglaublich hübsch, dass sie die ganze Familie noch einmal ins Unglück stürzen wird, wie Antonio anerkennend ausruft. Das ist ein riesiges Kompliment und wird auch so aufgefasst. Ich liebe dieses Theater.
    Es ist schon langsam Zeit, aufzubrechen und in unseren Läusebunker zurückzukehren, da bemerke ich, dass ich Benno schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen habe. Man muss sich um ihn eigentlich keine Sorgen machen, denn er entfernt sich normalerweise nicht von der Truppe. Er hat die ganze Zeit auf einem Sofa gesessen und still seine Würstchen gemampft.
    Es gehe ihm gut, sagte er, wenn ich alle Stunde bei ihm fragte, ob alles okay sei. Er verdrückte zwei Dutzend Würstchen und zwei Steaks und trank dazu zwei Flaschen Wein, und plötzlich 190
    war er verschwunden. Bevor ich mich überall umsehe, gehe ich erst einmal Richtung Bad. Benno verbringt ungefähr ein Zwölftel des Tages auf dem Klo, und daher liegt es nahe, dass ich ihn dort finde. Die Tür ist verschlossen. Ich klopfe. Es erinnert mich an unsere erste Begegnung.
    «Benno, bist du da drin?»
    Keine Antwort.
    «Bist du das, Benno?»
    Nichts.
    Ich lauter: «Benno!»
    Nochmal klopfen. Mit Nachdruck. Wenn niemand antwortet, ist es immer Benno. «Ich gehe hier nicht weg, bist du ant-wortest. Ist alles okay mit dir, Benno?»
    Schließlich höre ich etwas im Bad. Der Drehknauf bewegt sich. Vorsichtig wird geöffnet, und Bennos Pferdeschädel schiebt sich zwischen Tür und Rahmen. Er sieht vollkommen verstört aus.
    «Was ist denn los, Mann? Ich kriege Angst, wenn du nichts sagst.»
    Im Bad ist es stockdunkel. Er winkt mich hinein. Was ist bloß in den gefahren? Da sehe ich, dass am Ende des Raums zwei orangene Punkte leuchten. Es sind Augen. Als ich das Deckenlicht anknipse, verstehe ich, warum Benno nicht vom Klo gekommen ist. In einem kleinen weißen Regal unter dem Fenster steht ein zauberhafter Rauchverzehrer.

    191

TWELVE
    Benno ist selig. Pino hat ihm den Rauchverzehrer geschenkt, den er in seinem Badezimmer stehen hatte. Das Ding hat den Carbones ohnehin nie so recht gefallen. Es ist eine graugrü-
    ne Eule aus Porzellan. Lange Zeit wussten sie noch nicht einmal, wofür der Vogel mit den schockierend blinkenden Augen überhaupt gut war. Pino hat die Eule vor Jahren bei der Ver-steigerung von beschlagnahmten Zollgütern für einen Dollar ersteigert. Sie war als Versteck für 200 Gramm Kokain von Frankreich in die Vereinigten Staaten von Amerika eingeführt worden und in einer Lagerhalle mit anderem Strandgut des Transitreiseverkehrs gelandet. Niemand hatte für den merkwürdigen Rauchverzehrer geboten, also tat Pino Carbone es aus Mitleid und einer gewissen Konträrfaszination für das Scheußliche. Er brachte die Eule mit nach Hause und mon-tierte einen amerikanischen Stecker ans Kabel. Rosa stellte sie erst in den Flur, aber dann ins Bad, weil sie die Eule dort nicht ständig sehen musste, und irgendwann vergaßen die Carbones das hässliche Teil. Es entmaterialisierte sich sozusagen.
    Erst als der komische Deutsche mit glasigen Augen auf die Eule zeigte, fiel Pino wieder ein, dass er sie überhaupt besaß.
    Er schenkte dem Freund seines Freundes Antonio das Ding, und so tat es am Ende noch ein gutes Werk.
    Benno hat die Eule im Hotelzimmer auf seinen Nachttisch gestellt und erfreut sich nun an ihr, die ganze Nacht hat

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