Jan Weiler Antonio im Wunderland
diese Worte hilflos stammelnd in einem Antiquitätenladen zum Besten zu geben, umringt von Einheimischen, die hinterher wochenlang erzählen werden, dass ein perverser Kraut da war, der eine Hum-melfigur suchte, die auch saugen kann. Ich habe die schwach flackernde Hoffnung, dass Benno die Sache vergisst.
Nach dem Frühstück kaufe ich eine detaillierte New-York-Karte und entdecke die Straße, in der die Carbones in Queens leben. Es ist irgendwo beim Queens Boulevard, in einer der tausend Querstraßen. Allerdings habe ich keine Vorstellung davon, wie lange man dorthin braucht, wenn man die U-Bahn nimmt und dann noch zu Fuß geht. Ich möchte nicht zu spät kommen, daher schlage ich vor, sofort loszufahren. Das erweist sich als klug, denn Benno und Antonio stellen heute einen neuen Rekord im Superlangsamgehen auf. Warum sollten sie sich auch beeilen, sie sind schließlich Rentner und keine Sportstudenten. Außerdem quält Antonio eine Blase, die er sich gestern erlaufen hat.
Am Times Square gehen wir in die Subway-Sration, ich kaufe am Automaten eine Metrokarte. Die zieht man durch 1 «Nackig in den Erbsen stehen» ist eine schöne rheinische Wendung für
«aufgeschmissen sein».
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einen Schlitz, worauf sich die Sperre des Drehkreuzes löst und man hindurchspazieren kann. An großen Stationen gibt es viele dieser Drehkreuze. Ein ebenso simples wie gutes System: Solange man eine Station nicht verlässt, kann man so weit fahren, wie man möchte. Es gibt keine Tarifgrenzen und Entfernungswaben, keine feindselig gestalteten Sche-mazeichnungen an Ticketautomaten, bloß diese Drehgitter, durch welche der geübte New Yorker in Millisekunden wischt wie ein Luftzug mit Aktentasche. Es entsteht überhaupt kein Stau, außer an unserem Drehkreuz natürlich.
Mir gelingt das Durchziehen und Durchmarschieren recht flüssig, ich bin allerdings auch beseelt von dem Wunsch, hier nicht ständig als Anfänger aufzufallen. Nachdem ich die Schranke überwunden habe, reiche ich Antonio die Karte. Er zieht sie falschrum durch den Schlitz, ist ja nicht schlimm, ich helfe ihm. Die Eingeborenen zischen an uns vorbei wie Lachse in einer Stromschnelle, und nach dem sechsten Versuch gibt die Schranke seinem Bauch nach. Antonio geht mit erhobenen Armen hindurch und begrüßt mich auf der anderen Seite euphorisch. Wieder ein kleiner Sieg bei der Eroberung Manhattans.
Benno hingegen verzweifelt an dem Kartenschlitz. Er kennt das auch von zu Hause nicht, denn er besitzt keine Karten mit Magnetstreifen. Das ist ihm unheimlich. Schließlich erbarmt sich eine junge Frau und schiebt für ihn die Karte durch. Ich will mich noch bei ihr bedanken, aber da ist sie schon weg – mit der Karte. Es waren noch siebzehn Fahrten drauf.
«Wat will'se machen?», tröstet mich Benno. «Kann'se nix machen.» Wahrscheinlich hat er da Recht.
Wir laufen durch die gekachelten schmutzigen Gänge zur Linie E, die uns nach Queens bringen wird. Hier unten ist es feucht, Tausende von Menschen eilen an uns vorbei, durch den Dunst der U-Bahn-Luft, die hier wie anderswo ganz be-178
sonders riecht. Das kommt, wie mir scheint, wieder von dem öligen Überzug, den hier der Boden, die Kacheln, die Kleidung und die Gleise haben, diese Schutzschicht aus Ruß, Staub, Öl und dem Atem der New Yorker. Vieles in New York wirkt auf diese Weise schmutzig und vernachlässigt, aber man kann sich die Stadt gar nicht anders vorstellen. Dieser Ölfilm ge-hört dazu wie die Feuerleitern und die Klimaanlagen, die wie rausgeschubst aus den Häusern ragen.
Der Bahnsteig wäre, wie ich mit fachmännischem Blick feststelle, nach den Maßstäben der Stadt München eindeutig zu schmal, die Beleuchtung vielleicht gerade noch ausrei-chend, und die Beschilderung würde bei uns einen Aufstand der Anständigen auslösen. Bei mir ruft dieser Bahnsteig daher ein gewisses Unwohlsein hervor. Hier lauert Gefahr, finde ich, und blicke immer wieder angespannt umher. Antonio und Benno sind ebenfalls besorgt, denn die U-Bahnen schie-
ßen wie Torpedos über die Gleise und machen einen Lärm, gegen den auf einem italienischen Kindergeburtstag geradezu Grabesstille herrscht.
Es ist das ungeheure Rappeln und Klappern, das Jahrmarkt-hafte dieser Bahnen, das mich am meisten beunruhigt. Unser Zug hält mit lautem Scheppern an und entlässt eine Welle von völlig ungerührten Großstädtern. Natürlich gewöhnt man sich an den Lärm, es ist ja logischer Lärm. Warum sollte es in einer Stadt, in der alles
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