Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jan Weiler Antonio im Wunderland

Jan Weiler Antonio im Wunderland

Titel: Jan Weiler Antonio im Wunderland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
Vom Netzwerk:
auf die Mulberry Street verzogen hat, wo die Straße heftig geschmückt auf Touristen wartet.
    Antonio Marcipane ist außer sich. Er spricht so ziemlich jeden italienisch aussehenden Menschen auf der Straße an, fragt, wo die Leute herstammen und seit wann sie schon in Amerika leben, und muss feststellen, dass die meisten in New York geboren sind und kaum einer seine Sprache spricht. Nach Mauro fragt er schon gar nicht mehr.
    Bennos schon mythenhafter Appetit treibt uns in ein derart italienisches Restaurant, dass ich mich für einen Augenblick fühle wie Heinz Erhard 1956 im Urlaub in Venedig. Hier sieht es wirklich schon technicolorhaft nach Kulisse aus. An den Decken Fischernetze, in denen Plastikkrabben liegen, an den Wänden der weltberühmte weiße Schlawinerputz, jenes hingeschlamperte Symbol uritalienischer Gemütlichkeit. Um 200
    das Bild abzurunden, steht auf der Bar mit der zweigruppigen Faema E61 1 auch noch eine Vorspeisenflasche.
    Vorspeisenflaschen haben mich schon immer fasziniert.
    Von zarten Kinder- oder geduldigen Greisenhänden werden verschiedene Gemüsesorten tagelang derart geschickt in eine meist riesige Flasche gepfriemelt, dass die unterschiedlich farbige Füllung am Ende ein Muster ergibt, manchmal sogar eine Städteansicht von Rimini. Früher dachte ich, das ganze sei bloß Talmi, und die ganze Pracht in Wahrheit als bedruck-te Folie auf die Flasche geklebt, aber das stimmt nicht. Es sind wahrhafte Meisterwerke italienischer Ingenieurskunst, ganz ähnlich dem Maserati Biturbo. Dessen Motor fuhr so zuver-lässig, als habe man anstelle der Zylinder Vorspeisenflaschen unter die Haube gebaut.
    Wir setzen uns an ein rotweiß kariert eingedecktes Tischlein, auf dem eine Tropfkerze in einer strohig ummantelten und dickbauchigen Weinflasche befestigt ist, welche vormals Rotwein von minderer Qualität enthalten hat. Jürgen hat solche Flaschen jedenfalls nicht. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich die Kerze als elektrische Lampe, wie bei einer Weihnachtsbaumbeleuchtung. Zu dieser Tageszeit ist sie aber ausgeschaltet. Ich sehe mich um, aber außer uns kann ich keine Gäste entdecken. Das ist nicht unbedingt ein gutes Zeichen in einer Millionenstadt. Benno geht und sucht die Toilette.
    1 Was das ist? Das ist die Kaffeemaschine schlechthin. Wird eigentlich schon aufgrund ihrer enormen Größe nur in der Gastronomie genutzt, es gibt aber auch sehr gesuchte schmale Exemplare mit nur einem Espres-sohebel. Wenn Sie eine Faema E61 besitzen, dann haben Sie Geschmack –
    und eine Stromrechnung wie Caesar's Palace.
    201
    Wir warten nicht lange, dann kommt ein richtig klassischer Mario. Ein klassischer Mario ist ein dicklicher Südländer mit meist rundem Gesicht, dichtem schwarzem Haar und einem lustigen neapolitanischen Räuberschnauzbart. Er trägt eine schwarze Hose und ein weißes Hemd, beides sehr, man möch-te sagen: zu eng. Auf Antonios erfreute landsmannschaftliche Begrüßung antwortet er noch akzentfrei, doch dann geht es in sprachliche Feinheiten und mit Marios Italienisch bergab. Es zeigt sich schnell, dass er ungefähr so gut Italienisch spricht wie ich, allerdings mit einem osteuropäischen Akzent. Antonio fragt ihn, ob er denn nicht aus Italien komme, und der leicht peinlich berührte Ober antwortet, dass er aus Ungarn sei.
    Selbstverständlich kennt er keinen Gast namens Mauro Conti.
    Dann nimmt er unsere Bestellung entgegen und zieht ab.
    «So eine Aschelocke», zischt Antonio.
    Das finde ich ungerecht. Der Mann sieht absolut rollen-konform aus. Okay, man hätte beim Casting darauf achten können, dass er auch Italienisch spricht, aber ansonsten ist er perfekt. Ich muss ihn in Schutz nehmen. Aber Antonio ist unversöhnlich.
    «Das sinde Betruger, Gaune sindas.»
    «Ach komm! Ich finde es sehr hübsch hier.»
    Benno hat den Kellner auf dem Rückweg vom Klo abgefan-gen und Pasta sowie Pizza und Kalbsschnitzel bestellt. Auf Deutsch, aber es hat geklappt. Wahrscheinlich kommen hier mehr Deutsche als Italiener hin.
    «Dat Klo is’ pickobello.» Er zeigt mir den erhobenen Dau-men, Zeichen seiner äußersten Wertschätzung. Das ärgert Antonio nur noch mehr.
    «Das iste Spiegelung von Tatsache.»
    «Du meinst Vorspiegelung falscher Tatsachen. Jetzt gib ihnen doch eine Chance. Vielleicht ist das Essen ja gut.»
    202
    «Wahrscheinliche iste der Koch ein Spanier.»
    «Wart's ab.»
    Mit einem hörbaren «klack» schaltet der Kellner unsere Tropfkerze sowie alle anderen im Restaurant an. Sie geben

Weitere Kostenlose Bücher