Jan Weiler Antonio im Wunderland
Mixtur aus Überparteilichkeit und Neugier wider. Antonio hingegen ar-gumentiert gestenreich und lautstark mit einem Angestellten des Deli, einem jungen Burschen, vermutlich aus Mexiko. Und in diesem Moment treffe ich eine Entscheidung, auf die ich für den Rest meines Lebens stolz sein werde: Ich drehe mich um und gehe wieder hinaus. Antonio hat mich ohnehin nicht gesehen. Zunächst noch schuldbewusst, dann immer flotteren Schrittes und am Ende beschwingt, laufe ich ins Hotel, lege mich mit einem letzten Bier aufs Bett und zappe durch das Fernsehprogramm.
In Wisconsin hat ein asiatischer Einwanderer fünf Jäger erschossen. Die Männer hatten ihn beim Wildern erwischt. Es heißt, er sei ein unauffälliger Bürger gewesen, und dass es in der Gegend immer wieder mal Probleme zwischen neuameri-kanischen und uramerikanischen Jägern gebe. In Texas fällt so viel Regen wie noch nie, und bei einem Basketballspiel prü-
gelten sich die Spieler mit den Zuschauern. Den Haupttäter unter den Profis kostet der Spaß nun wegen der Verhängung einer gewaltigen Spielsperre fünf Millionen Dollar, denn er wird nur bezahlt, wenn er antritt. So ist Amerika: Wenn einer tötet, dann gleich fünfmal; wenn es regnet, ist Apokalypse; wenn ein Sportstar prügelt, kostet es ihn einen schon kindlich-gigantischen Betrag. Klein geht nicht, klein ist immer gleich Old Europe.
Am nächsten Morgen beim Frühstück fällt mir die Deli-Sache wieder ein. Ich spreche Antonio darauf an.
«Toni, alles klar?»
«Tutto bene, liebe Jung.»
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Von selber wird er mit der Geschichte natürlich nicht rausrücken. Ich muss schwindeln, damit ich davon erfahre.
«Ich habe gestern Abend nochmal bei dir angerufen, aber du warst nicht da. Seid ihr noch ausgegangen?»
«Komisch, habe aucke di annegerufe, aber warste du nida.»
«Ich habe geschlafen.»
«Soso. Sinde wir spaziere gewesen und hatte ein kleine Streit.»
Ich stelle mich doof. «Miteinander?»
«Nein, nichte, iste unmoglicke mite Benno. Mit eine Erpresse in ein Suppemarkt.»
Bei dem Wort Supermarkt schwant mir, was Antonio angestellt hat. Er liebt es einfach, Preisschilder umzukleben.
«War wohl zu teuer», sekundiere ich.
«Viel zu teuer und vor allen: Alle Preis’ waren falsch auf der Ware.»
«Und wie ist die Sache ausgegangen?»
«Wir habe nickts gekaufte in der blöde Ladeda. Habi nickte nötig, die könne der Zeug behalten.»
Ohne dabei gewesen zu sein, weiß ich, wie die Sache lief.
Antonio hat aus dem einen oder anderen Artikel ein Sonderangebot gemacht und ist zur Kasse marschiert. Der Bursche hinterm Tresen hat sofort gemerkt, dass die Preise nicht stimmten und hat höflich, wie diese vor Selbstbewusstsein platzenden Amerikaner halt sind, darauf hingewiesen, dass die Rechnung höher ausfällt, als Antonio denkt. Antonio hat dann auf Italienisch rumkrakeelt, dass er Gast in diesem Lande sei und nicht wisse, was der Mann von ihm wolle, und dass er den Patron zu sprechen wünsche. Und dann ist er mitsamt Benno höflich gebeten worden, das Geschäft zu verlassen. Er hat mit dem Fuß aufgestampft und gerufen, dass so etwas in einer zivilisierten Gesellschaft wie der deutschen nicht üblich 209
sei. Da ist er mitsamt Benno rausgeflogen. Kurz und schmerz-los. Und ich musste nicht dabei sein. Was mich nachhaltig freut.
Die Geschichte nagt nicht an Antonio, vielmehr sei der Kerl selber schuld, dass er mit Antonio nicht ins Geschäft gekommen ist. Er platzt sogar vor hervorragender Laune und macht einen sehr tatendurstigen Eindruck. Er würde gerne mal zum Großmarkt gehen, aber dafür ist es heute schon zu spät, da ist jetzt nichts mehr los. Wir heben uns das für einen anderen Tag auf. Dann macht Antonio einen Vorschlag, auf den ich niemals gehofft hatte. «Wie wär's, heute geht jeder per conto suo . Wir gehen, wo wir gehen, unde du gehste woanders, und wir treffen uns bei der Abendbrot in ein Lokal.»
Ich bin begeistert, überglücklich. Natürlich werde ich mir Sorgen machen, den ganzen Tag nur an die beiden denken, aber andererseits habe ich mir nicht mehr gewünscht als diesen einen Tag Ruhe vor der Jagd nach Toiletten, Architekten und Rauchverzehrern. Gemeinsam suchen wir ein gutes Restaurant in SoHo heraus. Ich schreibe Antonio die Adresse auf und lasse dort von der Rezeption einen Tisch reservieren.
Dann bin ich frei. Benno ist bisher nicht aufgetaucht. Komisch, wo er doch morgens so einen majestätischen Hunger hat.
«Wo steckt denn Benno?», frage ich.
«Da is’
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