Jan Weiler Antonio im Wunderland
ein irgendwie beunruhigendes Licht. Eigentlich fehlen jetzt nur noch original italienische Familiengeräusche und Moped-geknatter vom Band.
Das Essen kommt innerhalb weniger Sekunden und stellt sich als so abgrundtief erschütternde Pampe heraus, dass nicht einmal Benno seine Bestellung komplett hinunterbekommt. Die Sauce und die Pilze auf meinen Linguini, die in Wirklichkeit Spaghetti sind, kommen aus der Plastiktüte und wurden offenbar in der Mikrowelle erhitzt und dann über Nudeln aus dem Kühlschrank geschüttet. Der Käse auf der Pizza ist Gouda und das Kalb an Altersschwäche gestorben, bevor man es seiner zähen Lenden beraubte.
Antonio sieht seinen persönlichen Stolz verletzt, zumal auch der Wein ungefähr so italienisch ist wie der Super Bowl.
Das Unheil nimmt seinen Lauf, denn der ungarische Italiener weiß nicht, was Amaro ist. Antonios gestenreiche Versuche, ihm dies zu erklären, quittiert er mit einem an Gleichgültig-keit nicht mehr steigerbaren Schulterzucken. Dann bringt er drei Gläschen Wodka und wenig später eine Rechnung, die den Schluss nahe legt, ich hätte den Laden gerade gekauft.
Ich will sie schnell bezahlen, damit wir hier verschwinden können. Jetzt bloß keine Szene, einfach die Klappe halten und die Kreditkarte rausrücken. In einem unaufmerksamen Moment entreißt mir mein auf Krawall gebürsteter Schwiegervater die Rechnung und bricht in ein amtliches Geheul aus, dessen Übersetzung in etwa lautet, dass er sofort den Patron zu sprechen wünscht.
Dieser erscheint in Gestalt des albanischen Kochs, der mir 203
unmissverständlich klar macht, dass wir entweder zahlen oder sterben. Ich ziehe das Leben vor und reiche dem Ungarn meine Kreditkarte, die Antonio ihm aus der Hand fischt, um damit zu türmen. Aber er kommt nicht weit, weil der Koch ihn an der Jacke erwischt und unter lautem Gezeter festhält, wahrend Benno den Albaner als «Lump, Flegel und Mörder»
beschimpft. Tatsächlich ist zwar unser Mittagessen das Einzige, was der Bursche auf dem Gewissen hat, aber Benno kennt keine Grenzen, wenn er einmal in Fahrt ist.
Irgendwann ruft der Ungar ins Getümmel, dass die Polizei gleich da sei, und das macht mir nun wirklich Sorgen.
Ich habe Konfrontationen mit der amerikanischen Exekutive satt und rufe immer in den Tumult hinein: «Toni, gib mir die Kreditkarte.» Und zu dem Ungarn: «Ich zahle, ich zahle. Es war wunderbar, exzellent! Ich zahle!» Doch Antonio ist au-
ßer Rand und Band. Ich drehe ihm persönlich den Arm um, um ihm meine Kreditkarte zu entwinden, und werfe sie dem Kellner zu, der damit hinter die Bar flitzt, während Benno und ich meinen erhitzten Schwiegervater festhalten. Der Albaner bedroht ihn zusätzlich mit einer Gabel. Antonios Widerstand erlahmt erst, als ich meine Unterschrift unter einen Phantasie-betrag gesetzt habe, der sich noch einmal deutlich erhöht zu haben scheint.
Auf der Straße kommt Antonio nur ganz allmählich wieder zu sich. Eine gewisse Grundsäuernis bleibt jedoch und die richtet sich nicht gegen die Betreiber dieses pittoresken Schweinetrogs von einem Restaurant, sondern gegen mich.
Körperverletzung lautet die Anklage, weil ich ihm den Arm umgedreht habe. Ich entschuldige mich ein halbes Dutzend Mal, aber Antonio ist unversöhnlich. Nicht einmal die vielen Bilder von Robert De Niro, die man hier in jedem zweiten Geschäft bekommt, können ihn aufheitern. Er ist fürs Erste 204
fertig mit mir. Mit Little Italy und mit dieser ganzen Stadt sowieso.
Entgegen seiner Gewohnheit geht Antonio nun voran, für seine Verhältnisse sogar ziemlich schnell. Dahinter folgt Benno, und ich bilde die Nachhut. Im Gehen blättere ich in meinem Reiseführer und suche hektisch nach irgendeiner Attraktion, die Antonios Laune heben könnte. Nach Ellis Island ins Einwanderermuseum will der jetzt bestimmt nicht mehr. Schließlich werde ich fündig. Gleich hier um die Ecke gibt es einen weltberühmten Feinkostladen, dessen Name wie eine italienische Modemarke klingt, was Tonis Herz er-weichen könnte. Ich überhole Benno und mache Antonio den Vorschlag, zu diesem herrlichen italienischen Delikatessen-geschäft zu gehen. Weltberühmt. Toll. Donnerwetter. Und bestimmt nicht teuer. Letzteres erweist sich zwar als Trug-schluss, dafür gibt es ungefähr zweihundert Sorten Brot, was Antonio zumindest ein anerkennendes Kopfnicken abringt.
Als Benno den internationalen Brotberg fotografieren will, kommt ein uniformierter Angestellter hinzu und fordert ihn auf,
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