Jan Weiler Antonio im Wunderland
das bitte unverzüglich zu unterlassen, Sir.
«Wat will dädenn?», fragt mich Benno nicht ohne eine gewisse Herablassung. Aus seiner Perspektive betrachtet, stehen die Amerikaner in Schlangen irgendwo an, oder sie sorgen dafür, dass die anderen anstehen. Er nimmt sie irgendwie nicht richtig für voll.
«Du sollst hier nicht fotografieren.»
«Wird davon dat Brot schlescht?»
«Ich weiß es nicht, lass es einfach.» Ein Handgemenge mit Einheimischen pro Tag reicht mir vollkommen. Wir kaufen drei Sandwichs zu je acht Dollar, drei Säfte für je sechs Dollar und drei Brownies für drei Dollar pro Stück – macht 51 Dollar –, und ich l asse mal wieder meine Karte durch den Schlitz 205
ziehen. Es kommt mir vor, als sei sie schon ein bisschen dünner geworden, am Ende der Reise kann ich wahrscheinlich durchgucken. Die Goldstullen entschädigen Antonio wenigstens kulinarisch, und er redet zumindest wieder mit Benno.
Ich bin Luft für ihn, und das macht wiederum mich sauer. Wer nimmt denn schwerste Verletzungen und Don Marcipanes Italo-Wahnsinn in Kauf? Das bin ja wohl ich! Wer verhindert, dass wir abgeschoben, verhaftet oder gefoltert werden? Auch ich. Wer ist der Einzige, der hier nach Mauro sucht? Wieder ich. Und wer ist beleidigt und spielt die Reisediva? Antonio.
Ich beschließe, dass wir ins Hotel fahren. Heute geht Antonio ohne Essen ins Bett. Oder er muss sich mit Benno selber darum kümmern. Ich werde schön in eine Bar gehen und in Ruhe ein Bier zischen und keine Zigarette rauchen. Oder ich rufe Pino an, lasse beiläufig die Sache mit dem Zahn fallen und sehe zu, wie die beiden verhaftet werden. Bye-bye, Alterchen.
Viel Spaß in Sing-Sing!
Ich halte ein Taxi an und schiebe die beiden hinein. Am Hotel angekommen, gehen sie ohne einen Mucks auf ihr Zimmer.
Es ist noch früh, vielleicht 18 Uhr, ich habe also Zeit und nehme ein Bad in meiner Winzwanne. Man kann nur mit ange-zogenen Knien darin sitzen. Körperpflege ist in diesem Land wirklich eine große Herausforderung. Gegen 20 Uhr verlasse ich das Hotel und mache mich auf die Suche nach etwas, wo keine italienischen Rentner und inkontinenten Rheinländer sitzen. Schließlich lande ich in einem Lokal, das so duster ist, dass ich meine Füße nicht sehen kann. Ich setze mich an die Bar und mache nicht den Fehler, Budweiser 1 zu bestellen. Ich 1 Bierkenner wissen: Das amerikanische Budweiser hat leider überhaupt nichts zu tun mit dem köstlichen tschechischen Budweiser.
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nippe an meinem Bier, und so langsam schwingt der Gong der letzten Tage in meinem Kopf aus, ich komme zur Ruhe, bestelle noch eine Flasche. Was habe ich bisher von dieser Reise gehabt? Nicht viel, eigentlich nur Ärger. Es kommt mir so vor, als würde ich den ganzen Tag meine beiden alten Herren vor dieser Stadt beschützen. Aber Reisen ist eigentlich anders gemeint, ich mache wahrscheinlich etwas falsch. Aber was nur?
Soll ich die beiden einfach sich selbst überlassen? Womöglich wäre das für Antonio und Benno gar nicht so schlimm. Sie müssten mir dann nicht immer wie zwei gepäcklose Sherpas hinterherlaufen. Sie könnten sich mit Pino verabreden und mit ihm zum Baseball gehen – und ich endlich in die Museen, die mich interessieren.
Ich wüsste genau, was ich machen würde, wenn ich mit Sara hier wäre. Wir würden zum Beispiel ins Kaufhaus Bergdorf Goodman gehen, einem Geschäft, in dessen Schuhabteilung meine Frau gerne nach ihrem Tod mit ihrer Urne einziehen würde, denn wohler fühlt sie sich wahrscheinlich nirgendwo auf der Welt. Wir würden in Greenwich Village ausgehen und in SoHo, den Botanischen Garten in Brooklyn besuchen.
Antonio und mich hält hier nur der familiäre Kitt zusammen.
Sonst gäbe es für uns keinen Grund, gemeinsam zu reisen. Ich trinke aus und gehe.
Auf dem Rückweg zum Hotel komme ich an einem Deli vorbei, in dem es laut zugeht. Jemand ruft etwas auf Italienisch, ein anderer schreit auf Englisch zurück. Das mag ich an New York. Diese aufregende Internationalitat. Ich habe schon eine große Bewunderung dafür, wie hier alle Nationen der Welt versuchen, ihren Weg zu machen. In diesem Deli zum Beispiel pulsiert das Leben, da ist Spannung, metropolische Action. Ich sehe durch die Scheibe und erkenne
– Antonio.
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Mit einem Satz bin ich im Laden und analysiere die Situation. Benno steht vor der Kasse und hat einen Frischkäsebagel in der einen und eine Flasche Bier in der anderen Hand. Sein Gesicht spiegelt wie immer diese Tiggelkamp’sche
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