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Jan Weiler Antonio im Wunderland

Jan Weiler Antonio im Wunderland

Titel: Jan Weiler Antonio im Wunderland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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schon in der große Park und futterte der Eickörnchen.»
    «Was macht der? Der futtert Eichhörnchen?»
    «Nee, dumme Salat! Nickte futtert er selber die Eichörrn-che, sondern gibt ihne der Futter.»
    Antonio schmeißt die Sirene an und beömmelt sich könig-lich.
    Ich begleite Antonio noch zum südlichen Eingang des Central Park, wo er sich um elf Uhr mit Benno verabredet hat. Wir 210
    sind zu früh. Ich möchte ihn nur ungern so alleine stehen lassen, aber er bittet mich darum. Er wolle ungestört sein, sagt er. Ich drehe mich noch ein paar Mal um, und jedes Mal winkt er mir fröhlich. Ganz wohl ist mir bei der Sache nicht. Was ist, wenn Benno gar nicht kommt, weil er, von Eichhörnchen überfallen und seines Brustbeutels beraubt, von der joggen-den Yoko Ono aufgelesen und in John Lennons Lieblingssofa verfrachtet wurde, wo sie ihn nun mit Donuts und Softeis wieder aufpäppelt? Oder wenn etwas noch Schlimmeres passiert ist? Es fällt mir schwer, dies vor mir selber zu formulieren, aber ich muss die beiden loslassen. Wenn etwas nicht klappen sollte, dann ist das nicht mein Problem.
    Ich grüble noch einen Block weiter, dann drehe ich mich um und renne zurück. Ich hätte die beiden nicht alleine lassen dürfen. Es war ein Fehler, Fehler, Fehler! Als ich dort ankomme, wo ich Antonio zuletzt gesehen habe, ist er verschwunden. Ich laufe in den Park, wieder zurück, sehe mich um. Kein Zweifel: Antonio und Benno sind von der Stadt verschluckt worden.

    211

THIRTEEN
    Ich kann mich nicht richtig an meine plötzliche Freiheit ge-wöhnen. Unruhig laufe ich Richtung Osten, also zur Fifth Avenue, die mir auf Anhieb gefällt, weil New York hier so ist, wie ich es aus dem Kino kenne. So will ich es haben, so macht es mir keine Angst. Ich verbringe den Mittag damit, ins Museum zu gehen und dabei zuzusehen, wie die Eisbahn vor dem Rockefeller Center präpariert wird. Nächste Woche ist Thanksgiving, dann wird die Stadt voll sein wie ein Ameisenhaufen. Dann werden sich Millionen Menschen die Parade ansehen, und noch mehr Millionen Puten müssen ihr Leben lassen.
    Im Fernsehen werden schon alle Arten von Schnellkochtöpfen, Grillapparaturen und Bratenthermometer angepriesen.
    Ich habe das heute Morgen gesehen. Gerade als ich den Fernseher ausschaltete, um zum Frühstück zu gehen, betrat eine Reinigungskraft das Zimmer. Ich gab ihr zwei Dollarscheine und wünschte ihr zu Thanksgiving einen «real fat turk». Sie sah mich an wie einen nackten Fliesenleger und bedankte sich. Beim Hinuntergehen fragte ich mich, was ich der Frau getan hatte.
    Jetzt, da ich auf einer Bank vor dem Rockefeller Center sitzend unter den missbilligenden Blicken einiger New Yorker Mütter und deren halbwüchsiger Töchter eine schöne Zigarette rauche, fällt es mir ein. Ich habe der Frau einen richtig fetten Türken gewünscht und auch noch Geld zu dessen An-schaffung beigesteuert. Truthahn hätte «turkey» geheißen.
    212
    Was soll's? Mein Englisch ist ansonsten sehr passabel. Ich komme damit eigentlich überall klar, außer in Italien.
    Nach dem Lunch, den ich zwischen einem Rudel von Geschäftsleuten auf der Madison Avenue einnehme, spaziere ich durch den Trump Tower und gehe in die Oak Room Bar des Plaza Hotels, um meiner Kreditkarte den Rest zu geben.
    Mein Reiseführer rät mir zu einem Besuch des Kaufhauses Macy's, weil es dort die meisten Jeans der Welt gibt. Aber ich fahre lieber nach Greenwich Village, von wo ich nach SoHo und Tribeca marschiere, ziellos, aber glücklich. Ich gebe hier und da Geld aus, kaufe Mitbringsel, trinke einen Tee.
    Und doch denke ich irgendwie ständig an Antonio und Benno. Nicht nur, weil ich fürchte, es könnte ihnen – oder jemand anderem wegen ihnen – etwas passiert sein. Sie fehlen mir auch. Als Begleiter, als Kurnpane, als Expeditionsteam.
    Ich mag ihren Blick auf die Dinge. Es ist schön, wenn Benno stehen bleibt und die Feuerleitern fotografiert. Er hat ganz sicher schon zwanzig Feuerleiterfotos gemacht. Ich sehe auf meine gefälschte Uhr, die ich in der Innentasche meiner Jacke mitführe. Sie passt mir immer noch nicht. Im Hotel habe ich mit Werkzeug aus meinem Nageletui versucht, das Band zu verkürzen, aber es hat nicht funktioniert.
    Es ist bereits dunkel, bald Zeit für unsere Verabredung. Ich stelle fest, dass der Sekundenzeiger bei jeder Umrundung zwei bis drei Sekunden braucht, um an dem Minutenzeiger vorbeizukommen. Der ist offenbar verbogen. Das bedeutet aber auch, dass die Uhr nachgeht, eine halbe

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