Jan Weiler Antonio im Wunderland
platze gleich. Achtung, ich kann nicht mehr.
«Man muss seinem Kind nur genug Selbstbewusstsein mitgeben, dann kann es jeden Namen tragen», sagt Jürgen beleidigt.
«Und außerdem sind das traditionelle, solide Namen und nicht irgendeiner Mode unterworfen», sekundiert Lorella 251
zwischen zwei heftigen Keuchern. Nichts in ihrem Leben ist irgendeiner Mode unterworfen, insofern hat diese Namensge-bung schon einen Sinn. Andererseits: Friedemann-Amadeo.
Da wird der Junge schon entweder ein Genie oder ein Super-fußballer werden müssen. Sonst ziehen ihn seine Mitschüler dreizehn Jahre lang an der Nase über den Pausenhof. Friedemann-Amadeo Böhmer. Na, ich weiß nicht und beiße in mein Brötchen. Donnerwetter, was für eine Qualität im Vergleich zu New York.
Lorella hört mit ihren Übungen auf und setzt sich zu mir an den Tisch. Sie ist ganz verschwitzt und macht einen teigigen Eindruck auf mich. «Hoffentlich platzt jetzt meine Fruchtblase», sagt sie und versetzt mich und Antonio damit in eine mittlere Panik. Aber es passiert erst einmal nichts.
Jürgen schleppt seine Videokamera an und zeigt sie mir.
Sehr schönes Gerät, findet Jürgen. «Da stimmt die Preis-Leistung», sagt er mit jenem Besitzerstolz, der sich in Deutschland nur noch aus dem Bewusstsein speist, ein Schnäppchen gemacht zu haben. Ich finde diese Einstellung schauderhaft.
Sie führt zu einem betrauernswerten Verlust von Stil und Le-bensart. Aber soll ich darüber ausgerechnet mit Jürgen ein Palaver anfangen?
Er gibt mir das Ding in die Hand und sagt: «Ich möchte, dass du die Sache filmst.»
«Welche Sache?», frage ich kauend, obwohl ich weiß, was er meint. Ich hoffe, dass wenn ich mich jetzt richtig blöd anstelle, der Kelch an mir vorbeigeht.
«Na, die Geburt von Friedemann-Amadeo. Ich werde keine Zeit haben.»
«Ich soll das filmen? Wie stellst du dir das denn vor?
Meinst du wirklich, ich turne um Lorella herum, während sie gebärt? Soll ich vielleicht noch in sie hineinzoomen? Nee, 252
mein Lieber, vielen Dank. Außerdem bringe ich das nicht. Ich kann kein Blut sehen.»
«Dann muss ich eben Antonio fragen», flüstert Jürgen mir zu.
Daraufhin nehme ich ihm die Kamera ab: «Okay, ich mach’nAber keine Nahaufnahmen und nicht von voriie.»
Meine Bereitschaft, Kameradienst zu schieben, führt dazu dass ich den ganzen Tag nicht das Haus verlassen darf. Es könnte ja jede Sekunde so weit sein. Sara hat sich aus weiblich kollegialer Höflichkeit den vokalen und gymnastischen Übungen von Jürgen und Lorella angeschlossen, aber das darf ich nicht filmen. Typisch. Dabei hätte ich diesen Teil des Films gerne unseren Freunden vorgespielt.
Um 19 Uhr rufen wir die Hebamme an, die eine halbe Stunde später auftaucht und zunächst einmal die anwesenden Männer wegen ihrem ganz allgemein unzulänglichen Geschlecht und Unvermögen, die weibliche Psyche zu begreifen, herunterputzt, was sich Jürgen in schon unerträglich devoter Manier gefallen lässt. Toni ist da anders. Nur Ursulas und Saras Diplomatie ist es zu verdanken, dass Antonio die Frau nicht gleich mitsamt ihrer Hebammentasche achtkantig raus-schmeißt.
Frau Fobbe-Haller erklärt die Aufgabenverteilung. Demnach darf Antonio gar nichts machen, ihn könne sie nicht gebrauchen. Antonio ist darüber so erbost, dass er sich schmollend ins Wohnzimmer verzieht. Ursula wird für frisches Mineralwasser und Häppchen sorgen, denn das hier kann die ganze Nacht dauern. Das sei oft so beim ersten Kind. Sara wird ihrer Schwester der wichtigste Beistand sein, und Jürgen soll mit ihr die Übungen machen, die man so schön einstudiert hat.
«Und ich?», frage ich.
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«Sie machen sich unsichtbar.»
Ich filme also unsichtbar, wie Lorella in die Badewanne geht und anschließend ein wenig hechelt. Die Hälfte der Kassette geht dafür drauf. Sie hat enorme Brüste, die man gerne filmt. Die nächsten Stunden drücke ich immer auf den roten Knopf, wenn sie ruft: «Jetzt kommt wieder eine.» Gemeint ist eine Wehe. Jürgen stoppt jede mit seiner Armbanduhr. Mit ihr kann er auch die Temperatur, den Luftdruck, den Höhenun-terschied zwischen Küche und Bad sowie Längen- und Breitengrad seines Standortes bestimmen. Und die Uhrzeit, wenn er will. Irgendwann werde ich müde und lasse die Kamera unbeaufsichtigt. Sie nimmt ungefähr eine Stunde lang auf, wie Antonio am rechten Bildrand fernsieht und seine Fußnägel schneidet, was kaum weniger spektakulär aussieht als eine Geburt.
Deren heiße
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