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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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wieder umherstoßen oder schelten oder mich ungerecht beschuldigen möchte, wie es doch meistens ihre Gewohnheit war. Ich glaube, dass Bessie Lee ein Mädchen mit guten natürlichen Anlagen gewesen sein muss. In allem, was sie tat, war sie flink und geschickt, außerdem hatte sie ein wundervolles Erzähltalent – oder wenigstens schien es mir so, nach dem Eindruck, welchen ihre Geschichten auf mich machten. Auch war sie hübsch, wenn mich die Erinnerung an ihre Gestalt und ihr Gesicht nicht täuscht. Sie steht vor mir als eine schlanke, junge Frau mit schwarzem Haar, dunklen Augen, sehr hübschen Zügen und einer klaren, gesunden Gesichtsfarbe. Aber sie war von heftigem und launischem Temperament und sehr unausgeglichen, was Grundsätze und Gerechtigkeit anbelangte. Und doch, wie und was sie auch sein mochte, sie war mir lieber, als irgendein anderes lebendes Wesen in Gateshead Hall.
    Es war am 15. Januar, ungefähr gegen neun Uhr morgens. Bessie war zum Frühstück hinuntergegangen, meine Cousinen waren noch nicht zu ihrer Mama gerufen worden. Elizazog gerade ihren warmen Gartenmantel an und setzte ihren Hut auf, um hinunterzugehen und das Geflügel zu füttern – eine Beschäftigung, welche sie sehr liebte. Ebenso viel Vergnügen machte es ihr, der Haushälterin ihre Eier zu verkaufen und das Geld, welches sie auf solche Weise erlangte, zu sparen. Sie hatte viel Sinn für den Handel und einen ausgesprochenen Hang zur Sparsamkeit. Dies zeigte sich nicht allein im Verkaufen von Hühnern und Eiern, sondern auch im scharfen Feilschen mit dem Gärtner um Blumenpflanzen, Samen und junge Schösslinge – der Gärtner hatte von Mrs. Reed den strengen Befehl erhalten, der jungen Herrin alle Produkte ihres kleinen Gartens, welche sie etwa zu verkaufen wünschte, abzukaufen. Eliza würde jedes einzelne Haar ihres Kopfes verkauft haben, wenn sie einen hinreichenden Profit dabei erzielt hätte. Anfänglich hatte sie ihr Geld in allen möglichen Winkeln und Ecken, in altem Lockenwicklerpapier oder in Lumpen versteckt; aber als einige dieser wohlverwahrten Schätze vom Zimmermädchen entdeckt wurden, willigte Eliza, welche fürchtete, eines Tages ihr ganzes Hab und Gut zu verlieren, ein, es ihrer Mutter gegen unerhörte Wucherzinsen anzuvertrauen – fünfzig oder sechzig Prozent. Diese Zinsen trieb sie regelmäßig jedes Vierteljahr ein und führte mit ängstlicher Sorgfalt in einem kleinen Notizbuch darüber Rechnung.
    Georgiana saß auf einem hochbeinigen Stuhl und ordnete ihr Haar vor dem Spiegel; in ihre Locken flocht sie künstliche Blumen und verblichene Federn, von denen sie einen ganzen Vorrat in einer Kiste auf dem Dachboden gefunden hatte. Ich brachte mein Bett in Ordnung, denn Bessie hatte mir den strikten Befehl erteilt, damit fertig zu sein, bevor sie zurückkommen würde. Sie benutzte mich jetzt häufig als zweites Zimmermädchen, ich musste aufräumen, den Staub von den Möbeln wischen und dergleichen. Nachdem ich die Bettdecke ausgebreitet und mein Nachtkleid zusammengefaltet hatte, ging ich an das Fensterbrett, um einigeBilderbücher und Puppenmöbel, welche dort umherlagen, fortzuräumen. Ein lauter Befehl Georgianas, ihre Spielsachen nicht anzurühren, gebot meinem Tun jedoch Einhalt: Die Liliput-Stühle und Spiegel, die Feen-Teller und Tassen gehörten ihr. In Ermangelung einer anderen Beschäftigung fing ich daher an, auf die Eisblumen zu hauchen, welche die Kälte auf die Fensterscheiben gezaubert hatte. Ich verschaffte mir so eine kleine Öffnung auf dem Glas, durch welche ich in den Garten blicken konnte, wo der harte Frost alles getötet und erstarren lassen hatte hatte.
    Durch dieses Fenster waren die Loge des Portiers und die Fahrstraße sichtbar, und gerade als ich so viel von dem silberweißen Blattwerk, das die Scheiben verschleierte, fortgehaucht hatte, um hinausblicken zu können, sah ich, dass die Pforten geöffnet wurden und ein Wagen durch das Tor rollte. Gleichgültig verfolgte ich, wie er vor das Haus fuhr. Es kamen ja oft Wagen nach Gateshead, aber niemals brachten sie Besucher, für die ich auch nur das geringste Interesse hegte. Der Wagen hielt vor dem Hause, die Glocke wurde heftig gezogen, der Besucher erhielt Einlass. Da dieser ganze Vorgang mich aber nicht kümmerte, wurde meine unbeschäftigte Aufmerksamkeit bald von dem Anblick eines kleinen, hungrigen Rotkehlchens angezogen, das sich piepsend auf die entlaubten Zweige eines Kirschbaumes nahe am Fenster gesetzt hatte. Die Reste

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