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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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meines Frühstücks aus Brot und Milch standen noch auf dem Tisch. Ich zerrieb eine Semmel zu Krümeln und zog gerade an dem Klappfenster, um die Brosamen auf das Fenstersims streuen zu können, als Bessie atemlos ins Kinderzimmer stürzte:
    »Miss Jane, nehmen Sie Ihre Schürze ab! Was machen Sie da? Haben Sie heute Morgen Gesicht und Hände schon gewaschen?« – Bevor ich antwortete, zog ich noch einmal an der Fensterklinke, denn der Vogel sollte doch sein kleines Mahl bekommen. Die Klinke gab nach, und ich streute die Brosamen aus, einige auf das steinerne Gesims, andere aufdie Zweige des Kirschbaumes. Dann schloss ich das Fenster und entgegnete:
    »Nein, Bessie, ich bin erst jetzt mit dem Aufräumen fertig geworden.«
    »Unartiges, unordentliches Mädchen! Was machen Sie da? Sie sehen so rot aus, als hätten Sie irgendein Unheil angerichtet. Weshalb haben Sie das Fenster aufgerissen?«
    Die Antwort blieb mir erspart, denn Bessie schien zu große Eile zu haben, um meinen Erklärungen Gehör schenken zu können. Sie zerrte mich an den Waschtisch, unterwarf meine Hände und mein Gesicht einer erbarmungslosen aber glücklicherweise kurzen Waschung mit Seife, Wasser und einem groben Handtuch, ordnete danach meinen Kopf mit einer harten Bürste, entkleidete mich meiner Schürze und riss mich dann hastig an die Treppe, wo sie mir gebot, eilig hinunterzugehen, da man mich im Frühstückszimmer erwarte.
    Ich hätte gern gewusst, wer mich wohl erwartete, gern hätte ich gefragt, ob Mrs. Reed dort sei, aber Bessie war schon wieder davongelaufen und hatte die Kinderzimmertür hinter sich geschlossen. Langsam stieg ich die Treppe hinunter. Seit fast drei Monaten hatte Mrs. Reed mich nicht mehr rufen lassen. Seit dieser Zeit war ich ins Kinderzimmer verbannt gewesen, und das Frühstückszimmer, der Speisesaal und der Salon waren für mich Regionen geworden, die ich nur noch mit Schrecken und Angst betreten konnte.
    Ich stand jetzt in der leeren Halle, vor mir war die Tür des Frühstückszimmers. Zitternd und furchtsam hielt ich inne. Welch einen elenden kleinen Feigling hatte die Furcht vor ungerechter Bestrafung in jenen Tagen aus mir gemacht! Ich fürchtete mich, in das Kinderzimmer zurückzugehen; ich fürchtete mich, in das Wohnzimmer einzutreten. Zehn Minuten stand ich ängstlich zögernd da, aber das heftige Klingeln der Glocke im Frühstückszimmer entschied: Ich musste eintreten.
    ›Wer konnte nach mir verlangen?‹, fragte ich mich, als ich mit beiden Händen die Türklinke erfasste, welche mehrere Sekunden meinen Anstrengungen widerstand. ›Wen würde ich noch außer Tante Reed in dem Zimmer erblicken? Einen Mann oder eine Frau?‹ Die Klinke gab nach, die Tür sprang auf, ich trat ein, machte einen tiefen Knicks, blickte auf und sah – eine schwarze Säule! Denn auf den ersten Blick erschien mir die lange, schmale, schwarz gekleidete Gestalt als eine solche, die da kerzengerade vor dem Kamin stand: Das ernste Gesicht zuoberst sah aus wie eine geschnitzte Maske, die als Kapitell auf die Säule gestellt war.
    Mrs. Reed hatte ihren gewohnten Platz neben dem Kamin eingenommen. Sie machte mir ein Zeichen, näher zu treten. Ich tat es und sie stellte mich dem steinernen Fremden mit den Worten vor: »Dies ist das kleine Mädchen, wegen dem ich mich an Sie wandte.«
    Er
, denn es war ein Mann, wandte den Kopf langsam nach der Seite, auf welcher ich stand, und nachdem er mich mit zwei neugierigen, unter einem Paar buschiger Augenbrauen funkelnden Augen geprüft hatte, sagte er feierlich mit einer tiefen Stimme: »Sie ist klein von Gestalt, wie alt ist sie?«
    »Zehn Jahre.«
    »Tatsächlich?«, lautete die zweifelnde Antwort. Darauf fuhr er noch einige Zeit fort, mich schweigend zu prüfen, bevor er mich anredete:
    »Ihr Name, kleines Mädchen?«
    »Jane Eyre, Sir.«
    Als ich diese Worte aussprach, blickte ich auf. Er erschien mir wie ein großer Mann, aber ich war eben sehr klein; seine Züge waren breit und wirkten hart und steif wie seine ganze Gestalt.
    »Nun, Jane Eyre, sind Sie ein gutes Kind?«
    Unmöglich, diese Frage bejahend zu beantworten. Die kleine Welt, die mich umgab, war anderer Meinung, alsoschwieg ich. Mrs. Reed antwortete für mich mit einem ausdrucksvollen Schütteln des Kopfes, gleich darauf fügte sie hinzu: »Je weniger man über diesen Punkt spricht, Mr. Brocklehurst, desto besser.«
    »Tut mir leid, das zu hören! Da muss ich mich aber dann wohl doch ein wenig mit ihr unterhalten.« Damit

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