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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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fließen, die großen Zweige zu beiden Seiten waren tot, und die Stürme des nächsten Winters würden bestimmt die eine, vielleicht sogar auch beide Hälften zu Boden werfen. Jetzt, immerhin, konnte man aber wohl noch sagen, dass sie
einen
Baum bildeten – eine Ruine zwar, aber keine ganz zerspaltene.
    »Ihr tatet recht, zusammenzuhalten«, sagte ich, als wenn die ungeheuren Splitter lebende Wesen wären und mich hören könnten. »Wie zerstört, verbrannt und wund ihr auch ausseht, mir ist, als müsste doch noch ein wenig Leben in euch sein, das jener Anhänglichkeit der ehrlichen, treuen Wurzeln entspringt. Ihr werdet niemals wieder grünen Blätterschmuck tragen – niemals die Vögel wieder Nesterin euren Zweigen bauen sehen und Lobhymnen in euren Wipfeln singen hören. Eure Zeit der Liebe und des Glücks ist dahin, aber ihr seid nicht einsam, jeder von euch hat einen Gefährten, der den Verfall mit ihm beweint!«
    Als ich emporblickte, erschien der Mond für einen Augenblick an jenem Teil des Himmels, welcher durch den Spalt sichtbar war. Die Scheibe war blutrot und wie in Nebel eingehüllt; sie schien mir einen traurigen, bestürzten Blick zuzuwerfen und hüllte sich dann sofort wieder in die jagenden Wolken. Für einen Augenblick legte sich der Sturm, der das Herrenhaus von Thornfield umtobt hatte, aber weit fort über Wald und Wasser zog der Wind wild klagend dahin. Es war traurig, dem zuzuhören, und ich lief weiter.
    Ich durchstreifte den Obstgarten und sammelte die Äpfel auf, mit denen der Rasen unter den Bäumen dick bestreut war. Dann beschäftigte ich mich damit, die reifen von den unreifen Äpfeln zu sondern. Ich trug sie ins Haus und brachte sie in die Vorratskammer. Darauf begab ich mich in die Bibliothek, um mich zu vergewissern, dass das Feuer angezündet sei. Denn obgleich es Sommer war, wusste ich, dass Mr. Rochester an einem so düsteren Abend bei seiner Heimkehr erfreut sein würde, ein helles, anheimelndes Kaminfeuer zu sehen. Ja, das Feuer war schon längst angezündet und brannte lustig. Ich schob seinen Lehnstuhl in die Kaminecke, dann rollte ich einen Tisch vor denselben, ließ die Vorhänge herab und sorgte dafür, dass Kerzen bereitlagen, den Raum zu erleuchten. Aber nachdem ich diese Arrangements getroffen hatte, war ich ruheloser als zuvor. Ich konnte nicht stillsitzen, nicht einmal im Haus bleiben. Die kleine französische Pendeluhr im Zimmer und die alte Standuhr in der Halle schlugen gleichzeitig zehn.
    »Wie spät es wird!«, sagte ich. »Ich werde hinunter zum Parktor laufen. Hin und wieder scheint der Mond, und ich kann eine weite Strecke der Landstraße überblicken. Er kommt jetzt vielleicht gerade, und wenn ich ihm entgegengehe,erspare ich mir einige Minuten des ungewissen Wartens.«
    Der Wind heulte in den hohen Bäumen, welche das Parktor umgaben, aber so weit ich die Landstraße links und rechts überblicken konnte, war alles still und einsam. Nur die Schatten der Wolken glitten zuweilen darüber hinweg, wenn der Mond zum Vorschein kam; sonst war die Straße eine schmale, helle Linie, auf der sich auch nicht ein Pünktchen bewegte.
    Eine Träne trübte mein Auge, als ich so Ausschau hielt – eine Träne der Enttäuschung und der Ungeduld. Ich schämte mich ihrer und trocknete sie schnell, verweilte aber noch. Der Mond schloss sich jetzt ganz in sein wolkiges Gemach und zog die dichtesten Vorhänge vor; die Nacht wurde immer dunkler. Dann brachte der Sturmwind auch Regenschauer.
    »Ach, wenn er nur käme! Wenn er nur da wäre!«, rief ich, von einer trüben Vorahnung erfasst. Ich hatte schon vor der Teestunde auf seine Rückkehr gewartet, und jetzt war es dunkel. Was konnte ihn denn zurückhalten? War ein Unglück geschehen? Die Begebenheit von gestern Abend fiel mir wieder ein. Ich deutete sie jetzt wie ein Vorzeichen von großem Unglück. Ich fürchtete, dass meine Hoffnungen zu strahlend seien, um sich erfüllen zu können. Und ich hatte in der letzen Zeit zu viel Glück empfunden, deshalb glaubte ich, dass mein Glück seinen Meridian überschritten habe und sich jetzt seinem Niedergang zuneigte.
    ›Nun, nach Hause kann ich nicht zurückkehren‹, dachte ich. ›Ich kann nicht ruhig am Kamin sitzen, während er in so rauem Wetter draußen ist. Lieber will ich meine Füße ermüden, als mein Herz bis aufs Äußerste anspannen. Ich will weitergehen, ihm entgegen.‹
    So machte ich mich denn auf den Weg; ich ging schnell, aber ich kam nicht weit. Bevor ich noch eine

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